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Auf dem Weg in die Entwicklungsgesellschaft?


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Kleine Geschichte der unabhängigen Republik Niger



von Kay Hanisch




Vorwort

Als erstes muß ich anmerken, dass dies keine wissenschaftliche Arbeit ist,
denn ich habe nicht gelernt, „wissenschaftlich“ zu arbeiten. Bei Recher-
chen zur jüngeren politischen Geschichte afrikanischer Staaten (seit 1960),
stellte ich fest, dass gerade die Republik Niger, obwohl sie seit Mitte der
70iger Jahre einen eigenständigen politischen und wirtschaftlichen Weg gehen wollte, besonders stiefmütterlich behandelt wurde. Den Nachbar-
staaten Mali (wegen seines sozialistischen Experiments nach der Unab-
hängigkeit und der gelungenen Demokratisierung in den 90iger Jahren)
und Tschad (wegen des langjährigen Bürgerkrieges) wurde weit mehr Be-
achtung geschenkt. Viele Quellen, mit denen ich arbeitete, beschäftigten sich nur mit der jüngeren Vergangenheit Nigers (1960-91), andere wiederum ausschließlich mit der gegenwärtigen Lage. Deshalb erschien es
mir wichtig, einen kleinen geschichtlichen Überblick von der Unabhängig-
keit bis zur Gegenwart zu verfassen.

Ungereimtheiten

Bei der Vielzahl der Quellen (mein eigenes Archiv u. auch das Internet)
traten oftmals widersprüchliche Angaben zu Tage. So z.B. ist der ehe-
malige Staatspräsident Seyni Kountché einigen Quellen zu Folge 1987 an
einer Gehirnblutung in einem französischen Krankenhaus gestorben, nach
einer anderen Angabe zu Folge im eigenen Büro. Ich habe mich dennoch
bemüht, die glaubwürdigsten Quellen herauszusuchen und mit ihnen zu arbeiten.
Um weitere Ungenauigkeiten zu vermeiden, habe ich auf Quellen, die
von automatischen Internet-Übersetzungsprogrammen übersetzt wurden,
weitgehend verzichtet. Selbst bei der Schreibweise der Namen von
nigrischen Präsidenten besteht oft keine Einigkeit.
Bedanken möchte ich mich noch bei Matthias Fitzner, dessen Bitte, für
seine Homepage (www.bridgetoafrica.com) eine Kurzbiographie von
Seyni Kountché zu verfassen, mich erst auf die Idee brachte, diese kleine
Chronik zu erstellen.


Niger – Zahlen und Fakten

Fläche:
1.267.000 Quadratkilometer

Einwohner: 11.425.000 (= 9 Einwohner pro Quadratkilometer) Ang. 2002

Hauptstadt: Niamey

Amtssprache: Französisch, 75% der Bevölkerung sprechen Haussa

Bruttosozialprodukt pro Kopf: 180$ (2002)

Staatsform: Präsidialrepublik seit 1960

Währung: CFA-Franc

Größte Städte: Niamey: 398.265 Einwohner (Ew.)
Zinder: 120.900 Ew.
Maradi: 113.000 Ew.
Tahoua: 51.600 Ew.
Algdez : 50.200 Ew.

Religion : 80% Muslime, 10-15% Anhänger von Naturreligionen,
christliche Minderheit

Bevölkerung: 52,8% Haussa
22,8% nilo-saharanische Volksgruppen
10,4% Fulbe
8,7% Kanouri
3% Tuareg
0,5% Tubu, Araber und Europäer

Nachbarländer: Mali, Algerien, Libyen, Tschad, Nigeria, Benin,
Burkina Faso

Streitkräfte: 5.500 Soldaten, 132 Schützenpanzer und gepanzerte
Fahrzeuge, 8 Transportflugzeuge










I. Auf dem Weg zur unabhängigen Republik

Ab dem 5. Jahrtausend v. Chr. wurde das Gebiet der heutigen Republik Niger besiedelt. Im Laufe der Jahrhunderte gehörte das Gebiet zu ver-
schiedenden Königreichen, die ihre Zentren in den heutigen Nachbar-
ländern hatten. Neben den Stadtstaaten der Haussa existierte ab Ende des
15. Jahrhunderts ein Sultanat des Nomadenvolkes der Tuareg auf dem Ge-
biet der heutigen Republik.
Ende des 19. Jahrhunderts begann die koloniale Eroberung durch Frankreich.
Nachdem die Franzosen 1906 und 1916 Aufstände blutig niedergeschlagen
hatten, wurde Niger 1922 eigenständige Kolonie.
Ab 1946 bildeten sich die ersten Parteien. Der ehemalige Lehrer Hamani
Diori (1916-1989) gründete die Fortschrittspartei des Niger PPN als regio-
nale Sektion der in verschiedenen französischen Kolonien agierenden Demo-
kratischen Afrikanischen Sammlungsbewegung
RDA. Diori konnte bei den
französischen Parlamentswahlen 1946 einen Erfolg verbuchen und ging als
Abgeordneter nach Paris. Im selben Jahr gründete der erst 24-jährige Djibo
Bakary (*1922), ein Vetter Dioris, die linke Demokratische Union Nigers
(UDN). Nachdem diese Partei sich 1947 dem Mouvement Socialiste African
(MSA) angeschlossen hatte, wurde Bakary zum Bürgermeister der Haupt-
stadt Niamey gewählt. Die Wahlen zur Territorialversammlung am 30.5.1957
gewann die MSA in Koalition mit dem konservativen Bloc Nigerien d´ Action (BNA), Bakary wurde Regierungschef.
Bakarys Partei, die nun unter dem Namen Sawaba (= Freiheit) firmierte und
41 der 60 Sitze erringen konnte, setzte sich für die totale Unabhängigkeit von
Frankreich ein. Dadurch geriet sie in Gegensatz zur PPN Hamani Dioris, die
einen Verbleib Nigers in der Französich-Afrikanischen Gemeinschaft
(Communauté Franco-Africaine) befürwortete. Bei einem Referendum erlitt
die Sawaba 1958 eine schwere Niederlage, denn 78% der Wähler sprachen sich gegen die sofortige Unabhängigkeit aus und Bakary trat zurück. Aller-
dings muß hier auch gesagt werden, daß der französische Gouverneur Jean
Colombani sein Möglichstes tat, um die Unabhängigkeitskampagne der Sawaba zu verhindern. Ein unabhängiger Niger, der im Norden an
Algerien grenzte, von dem sich Frankreich zu diesem Zeitpunkt überhaupt
nicht trennen wollte, wäre ein viel zu großes Risiko gewesen. Zudem galt als
sicher, daß eine von der Sawaba geführte Regierung die linke algerische
Nationale Befreiungsfront FLN von Ahmed Ben Bella unterstützt hätte.
Außerdem war offensichtlich, daß Bakary ein Bündnis mit dem marxistischen
Präsidenten Seko Tóure von Guinea anstrebte, der den Vorschlag Charles
de Gaulles einer „Französich-Afrikanischen Gemeinschaft“ vehement ab-
lehnte.
Neuwahlen im Dezember 1958 brachten den konservativen Hamani Diori
ins Amt des Regierungschefs. Ein Dekret vom 1. Oktober 1959 verbot die
Sawaba und Djibo Bakary musste ins Exil nach Mali fliehen.

II. Das postkoloniale Regime Hamani Dioris

Am 3. August 1960 erhielt die Republik Niger die volle Unabhängig-
keit, Diori wurde für 5 Jahre zum Präsidenten gewählt und erklärte die
PPN zur Einheitspartei, alle anderen Parteien wurden verboten. Doch von
einer wirklichen Unabhängigkeit Nigers konnte nicht gesprochen werden.
Sowohl in Verwaltung wie Wirtschaft behielten die Franzosen die Zügel
fest in der Hand. Jedem nigrischen Minister wurde ein französischer
„Berater“ zugeteilt. Auch die französische Garnison in Niamey blieb bestehen.
Am 25. Mai 1963 gründeten die 30 unabhängigen afrikanischen Staaten
(außer Südafrika) in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba die Organisation für Afrikanische Einheit (OAU). Ziele der OAU waren vor
allem die völlige Entkolonialisierung Afrikas, die Beseitigung der Herr-
schaft weißer Minderheiten und ein geschlossenes Auftreten Afrikas in
der UNO.
Seit 1960 lag Niger im Streit mit dem Nachbarland Dahomey (heute Benin)
über die Nutzung von Weidegründen auf der Insel Lete im Grenzfluß Niger.
Da die Präsidenten der beiden Staaten aber miteinander befreundet waren,
einigte man sich im Juli 1963 auf eine Beilegung des Streites auf einem
geplanten Gipfeltreffen. Die Entmachtung des Präsidenten von Dahomey,
Hubert Maga, am 28. Oktober 1963 nach einem Generalstreik und einem
Militärputsch unter Oberst Christophe Soglo änderte die Situation schlag-
artig. Die Regierung Diori misstraute dem neuen Regime im Nachbarland,
das verdächtigt wurde, Djibo Bakary und seiner verbotenen Sawaba-Partei
Unterschlupf zu gewähren.
Der Konflikt eskalierte: Am 21.12.1963 beschuldigte Niger Dahomey, es
bereite die Okkupation der Insel vor und warf einen Tag später 16.000 in
Niger lebende Staatsbürger Dahomeys aus dem Land. Darauf antwortete
Cristophe Soglo mit der Schließung der Bahn- und Straßenverbindungen nach Niger, die für das große, karge Binnenland als Verbindung zum Hafen
von Porto Novo, Dahomeys Hauptstadt, lebensnotwendig waren.


Zum Jahreswechsel zogen beide Staaten Truppen an der Grenze zusammen
und Niger besetzte die Lete-Insel, um Dahomey zuvorzukommen und als
Vergeltung für drei getötete nigrische Staatsbürger, die bei Protesten in
Dahomey ums Leben kamen.
Die Staatschefs von Ghana, Togo und Nigeria sowie die Afrikanisch-
Madagassische Union UAM bemühten sich um eine friedliche Beilegung
des Konfliktes, welche am 15. Januar 1965 erfolgte.
Nach der Unabhängigkeit lehnte sich Niger stark an Frankreich und die Elfenbeinküste an und trat mit ihr, Obervolta (heute Burkina Faso) und
Dahomey dem Rat der Entente bei.
Obwohl Diori als Marionette Frankreichs galt, schloß sich Niger unter seiner
Führung der Bewegung der Blockfreien Staaten an, in der Länder mit neutralistischen Regierungen dominierten (z.B. Ägypten, Indien,
Kambodscha, Indonesien). 1961 hatte Diori sogar lautstark Kritik an den französischen Atomtests in der Sahara geäußert.
Ein neuer Konflikt bahnte sich ab 1964 mit Ghana an. Dessen Präsident,
Kwame Nkrumah, der international als einer der herausragenden Reprä-
sentanten der 3. Welt und des Panafrikanismus galt, gewährte anti-
imperialistischen Oppositions- und Unabhängigkeitsgruppen aus ver-
schiedenen Staaten in seinem Land Zuflucht, darunter auch dem nigrischen
Ex-Premier Djibo Bakary und seiner sozialistischen Sawaba.
Am 26. September 1964 verließen bewaffnete Kommandos, bestehend aus
ghanaischen Soldaten und Sawaba-Kämpfern das Land und töteten bei
ihrem Eintreffen in Niger mehrere Dorfbewohner. Den Sicherheitskräften
des Sahelstaates gelang es nur mit französischer Waffenhilfe die Eindring-
linge auszuschalten.
Am 13. April 1965 versuchte ein in Ghana ausgebildeter nigrischer Exilant
namens Ahmadou Diop Präsident Diori während des islamischen Tebaski-
Festes mit einer Handgranate zu töten. Ein Mann starb, sechs weitere
wurden schwer verletzt, Diori aber blieb unverletzt. Auf diplomatischen
Druck anderer westafrikanischer Staaten sah sich Ghana gezwungen, seine
subversiven Aktivitäten (u.a. auch in Togo, Elfenbeinküste und Obervolta)
zurückzufahren. Erst nach Nkrumahs Sturz 1966 entspannte sich aber das
Verhältnis Nigers zu Ghana.
Im sogenannten Biafra-Krieg, in dessen Verlauf 1967-70 sich das Volk
der Ibo vom übermächtigen Nachbarn Nigeria abspaltete, stand Diori fest
auf der Seite der Zentralregierung. Dies zahlte sich später durch gute Be-
ziehungen Niameys zu Lagos aus.

1970 konnte in der Hauptstadt Nigers eine Universität gegründet werden.
Zweiter Mann im Staat nach Hamani Diori war all die Jahre Boubou Hama,
der Präsident der Nationalversammlung, der durch zahlreiche Buchver-
öffentlichungen bekannt wurde.
Ab 1968 geriet das Diori-Regime immer mehr in Verruf. Korruption und
Vetternwirtschaft waren allgegenwärtig und lähmten jede positive
Wirtschaftsentwicklung. Auch die Familie des Präsidenten fiel durch be-
sondere Raffgier und Skrupellosigkeit auf. Die Ehefrau Dioris bereicherte
sich z.B. am illegalen Verkauf von Nahrungsmitteln aus internationalen
Hilfslieferungen. Die Kontrolle im Staat übte eine kleine Gruppe von
Beamten der Haussa aus, die ca. 50% der Bevölkerung stellten, aber noch
größer war der Einfluß reicher Händler.
Nach einer zweijährigen Dürre war 1973 fast der gesamte Viehbestand der
Nomadenbevölkerung vernichtet und nur ein sehr kleiner Teil im Süden des
Wüstenstaates war für den Ackerbau nutzbar. Niger war auf ausländische
Nahrungsmittelhilfe angewiesen. Der Verkauf dieser Güter auf dem Schwarz-
markt durch die herrschende Elite führte im ganzen Land zu schweren Un-
ruhen gegen das Regime.
Am 15. April 1974 putschte Generalstabschef Seyni Kountché (*1931),
unterstützt von einer Gruppe jüngerer Offiziere.

III. Der Militärputsch von 1974 und seine Folgen

Der Militärputsch wurde von großen Teilen der Bevölkerung mit Er-
leichterung aufgenommen und begrüßt. Man erhoffte sich vor allem einen
wirtschaftlichen Neubeginn. Auch die ehemalige Kolonialmacht schien
sich Kountché nicht in den Weg stellen zu wollen, hatten doch die zunehmenden Kontakte Dioris zum Libyen Muammar al-Ghaddafis
das Misstrauen Frankreichs erregt. Als erste Amtshandlung der neuen
Machthaber wurde der frühere Präsident unter dem Vorwurf Staatsgelder in
großem Umfang hinterzogen zu haben, inhaftiert. Die Verfassung von 1960 wurde suspendiert, das Parlament aufgelöst und Parteien verboten. Der Oberste Militärrat (CMS) unter Oberstleutnant Seyni Kountché übernahm
die Macht im Staat. Der CMS erklärte die Bekämpfung der allgegenwärtigen
Korruption sowie die Sicherstellung der Nahrungsmittelversorgung durch
Eigenproduktion zu seinen Hauptzielen. Mit internationaler Entwicklungs-
hilfe plante die neue Regierung z.B. einen Staudamm am Niger mit ange-
schlossenem Bewässerungssystem und der damit einhergehenden Ver-
größerung der landwirtschaftlichen Anbaufläche.

Außerdem sollte der Anbau von Hirse gegenüber den Exportprodukten
Baumwolle und Erdnüssen gefördert werden, da der Weltmarktpreis für
die letzteren ohnehin stark gefallen war.
Ein Schlagwort für den neuen Weg zur Selbstversorgung war schnell
gefunden: die „Entwicklungsgesellschaft“!
Der Oberste Militärrat, der die Funktion einer Regierung ausübte, blieb
fest im Griff des neuen Präsidenten Seyni Kountché. Dieser galt, im Gegen-
satz zu vielen anderen afrikanischen Diktatoren als unbestechlich und
integer, als „afrikanischer Preuße“, der sich auch der Probleme der Masse
der Viehzüchter und Bauern annahm. Gleichzeitig installierte er aber ein
umfassendes Kontroll- und Überwachungsregime, das jeden Widerspruch
brutal unterdrückte.
Die Regierung erlaubte Djibo Bakary 1975 die Rückkehr nach Niger, voraus-
gesetzt, er enthalte sich seiner politischen Tätigkeit. Bakary akzeptierte und
kehrte zurück, doch schon im August 1975 kam es zu einem Aufleben der
Aktivitäten des sozialistischen Politikers. Kurz darauf scheiterte ein Putsch-
versuch von Teilen des Militärs, die mit Bakary sympathisierten und von
Libyen unterstützt wurden. Der Sawaba-Führer wurde verhaftet.
Im März 1976 scheiterte ein weiterer Putschversuch mit Kountché
rivalisierender Militärs. Diese beiden Umsturzversuche bewirkten eine
weitere Verschärfung des Regimes, gleichzeitig beschloß der Präsident aber Zivilisten in die Regierung aufzunehmen.
Allerdings hatten Regierungsmitglieder aus den Reihen des Militärs protokollarischen Vorrang vor den zivilen Ministern.
Der Islam wurde von der Militärregierung als einigendes Element betrachtet
und den Geistlichen wurde immer größere Bedeutung in Staat und Gesell-
schaft eingeräumt. Das Häuptlingswesen, die „Chefferie“, wurde in ihrer traditionellen Rolle gestärkt und übte erheblichen gesellschaftlichen Einfluß aus.
Rund 15.000 Arbeiter organisierten sich im Gewerkschaftsbund „Union der
Arbeiter Nigers“ (UNTN). Politische Oppositionsgruppen blieben aber ver-
boten und hatten in der rigorosen Erziehungsdiktatur Seyni Kountchés keine
Möglichkeit zur Entfaltung.
Der CMS setzte die Mitarbeit Nigers in der Bewegung der Blockfreien
Staaten fort, am 4. März 1975 wurden diplomatische Beziehungen zur DDR
aufgenommen. Im selben Jahr erzwang Präsident Kountché von der
französischen Bergbaugesellschaft SOMAIR, die seit 1968 in Niger Uranerz
abbaute, die Abgabe rund eines Drittels der Anteile. Dadurch wurde Niger
zum Hauptaktionär und konnte, nachdem der Weltmarktpreis für Uran aufgrund der damaligen Weltenergiekrise in die Höhe geschnellt war, seine
wirtschaftliche Lage erheblich verbessern.
Trotz einer zunehmend unabhängigen Außenpolitik hielt Kountché an einer
engen Kooperation mit Frankreich fest. 1977 wurde ein Kooperationsvertrag
mit der ehemaligen Kolonialmacht und 1979 ein Kapitalhilfeabkommen mit
der BRD unterzeichnet.
Ab 1979 wurden sogenannte „Entwicklungsräte“ geschaffen, in denen
demokratische Strukturen und Mitbestimmung von der dörflichen Ebene
her bis zum nationalen Niveau hin aufgebaut werden sollten.
Durch Wiederbelebung der traditionellen Selbsthilfeorganisation „Samariya“
sollte die Bevölkerung für den Entwicklungsprozeß mobilisiert werden.
Der „Samariya“, in der vorrangig Jugendliche aktiv waren und die in dieser
Organisation lernen sollten, Verantwortung zu übernehmen, war in den
Entwicklungsräten neben den Kooperativen ein besonderer Platz eingeräumt
wurden. Die erst im Juni 1987 offiziell per Volksentscheid angenommene
Nationalcharta formalisierte das Konzept der seit 8 Jahren bestehenden
„Entwicklungsgesellschaft“, das einen eigenen Weg zur Demokratie oder
zumindest zur Beteiligung der Bürger und der sozioprofessionellen
Organisationen an den entwicklungspolitischen Entscheidungen beinhaltete.
Im April 1980 wurden Ex-Präsident Hamani Diori und Sawaba-Führer Djibo
Bakary sowie die meisten ihrer seit 1974 inhaftierten Anhänger aus dem
Gefängnis entlassen.
Nachdem libysche Truppen in den Tschad einmarschiert waren, um dort die
Rebellenbewegung von Goukouni Queddei zu unterstützen, brach Niger die
diplomatischen Beziehungen zu Libyen ab. Diese waren sowieso schon
äußerst angespannt gewesen, da es Libyen Exil-Nigriern ermöglichte, in
Radiosendungen gegen die Regierung in Niamey zu hetzen. Jedoch ging Niger
mit seinem nördlichen Nachbarn der wichtigste Abnehmer für Uran verloren
(1980 wurden 4.200 Tonnen nach Libyen verkauft).
Die 1979 begonnene Einführung der „Entwicklungsräte“ wurde 1982 mit der
Einführung des Nationalen Entwicklungsrates (CND) abgeschlossen. Die
Mitglieder dieser Volksversammlung wurden jedoch nicht – wie ursprünglich
geplant – vom Volk gewählt, sondern vom Staatschef ernannt. Dennoch kam
dem CND nun eine parlamentsähnliche Funktion zu.
Im Oktober 1983 konnte ein Putschversuch von Exil-Nigriern, die von Libyen
unterstützt wurden, abgewehrt werden. Kountché, seit 1983 im Rang eines
Brigadegenerals beschuldigte das Nomadenvolk der Tuareg der Verschwörung
mit dem libyschen Revolutionsführer Muammar al-Ghaddafi und setzte diese
Minderheit verstärkten Repressionen aus.

Wenige Wochen später setzte er die Entmilitarisierung Nigers mit der Er-
nennung des Zivilisten Hamid Algabid zum Premierminister fort.
Wegen einer erneuten Dürrekatastrophe, welche die Sahelstaaten 1984
heimsuchte, flüchtete die Bevölkerung aus den nördlichen Landesteilen
in den Süden und Städte wie Niamey und Zinder werden mit Hundert-
tausenden von Flüchtlingen überschwemmt. Unzählige Hungernde ziehen
weiter nach Nigeria, das daraufhin seine Grenzen schließt. Durch geschickte
Organisation der Hilfslieferungen konnte die Militärregierung und der für
die Nahrungsmittelversorgung im CMS zuständige Hauptmann Ali Saibou
aber Ausmaße der Katastrophe wie im Sudan oder in Äthiopien verhindern.
Die Regierung stand vor weiteren Herausforderungen: 1984 existierten im
ganzen Land 1.700 Grundschulen, was zwar ein Fortschritt gegenüber 1974
war (968 Schulen), aber die Analphabetenrate blieb erschreckend hoch. Auch
die Zahl der Lehrkräfte hatte sich erheblich erhöht. Waren es zur Zeit des
Putsches 1974 2.747 Lehrer, so gab es 10 Jahre später schon 6.554 in Niger.
An den Oberschulen lernten 46.689 Schüler und an der Universität waren
2.500 Studenten eingeschrieben. Trotz der erreichten Fortschritte lag die
Einschulungsrate nur bei 20%.
Im ganzen Land gab es 1984 nur 71 Ärzte, auf jeden Arzt kamen 84.507
Einwohner und potentielle Patienten. Bis zum Jahr 2000 plante die Regierung
das unzureichende Gesundheitswesen völlig zu reorganisieren. Hinzu kam, daß
sich Niger, um überhaupt noch ausländische Kredite und Hilfe zu bekommen,
dem Diktat des Internationalen Währungsfonds (IWF) unterworfen hatte. Die
Einhaltung der vom IWF vorgegebenen Regeln schränkte den ohnehin be-
scheidenen finanziellen Spielraum der Regierung erheblich ein.
1987 wurde in Say, südlich von Niamey eine islamische Universität gegründet.
Am 10. Oktober 1987 starb die prägende Gestalt der jüngeren nigrischen
Geschichte, Seyni Kountché, in einem französischen Krankenhaus an einer
Gehirnblutung im Alter von 56 Jahren. Stunden vor seinem Tod wurde Oberst Ali Saibou, Generalstabschef seit 1986, der stets loyal zu Kountché gestanden
hatte, zum Interimsstaatschef ernannt. Der CMS wählte Saibou am 14. 11.
1987 dann auch offiziell zum Präsidenten. Dieser leitete alsbald eine Politik
der „Entkrampfung“ („déscripation“) ein: Generalamnestie für alle politischen
Gefangenen, Aufhebung des Hausarrests über Hamani Diori und Umbildung
der Regierung. Saibou selbst übernahm zusätzlich das Amt des Verteidigungs-
ministers (bis 1991) und des Innenministers (bis 1989). Im Sommer 1988
wurde der CND beauftragt, eine neue Verfassung auszuarbeiten und Saibou
gründete die Nationale Bewegung für die Entwicklungsgesellschaft (MNSD)
als neue Einheitspartei.

Das Verhältnis der MNSD, die nun auf allen Ebenen aufgebaut wurde,
zu den Entwicklungsräten blieb allerdings unklar.

IV. Demokratisierung und Tuareg-Rebellion

Trotz aller Reformen lehnte der neue Präsident die Einführung eines Mehr-
parteiensystems ab. Das Militär sollte auch weiterhin der führende
politische Faktor bleiben. Der Oberste Rat der Nationalen Orientierung (CSON) löste den CMS als Führungsgremium ab. Mit 99,6% wurde Ali
Saibou 1989 als einziger Kandidat für 7 Jahre zum Präsidenten gewählt,
die MNSD-Einheitsliste, die vorher durch den CSON „abgenickt“ worden
war, erhielt 99,5%. Im September 1989 wurde die Verfassung zur 2. Republik
per Volksentscheid angenommen.
Probleme bereitete die Integration der Tuareg. Neben den Autonomiebe-
strebungen des nomadisierenden Volkes spielte auch die Entdeckung von
Uranvorkommen im Air-Gebirge eine wichtige Rolle, da sie eine erhebliche
Verbesserung der wirtschaftlichen Lage Nigers bedeutete. Doch fast überall
wurden die Tuareg diskriminiert. Bei der schwarzafrikanischen Bevölkerung
waren sie verhasst, hatten die Tuareg doch deren Vorfahren versklavt. Der
zunehmende staatliche Druck gegen die Nomaden, die die Regierung seß-
haft machen wollte, um sie besser kontrollieren zu können und die massen-
hafte Rückkehr von Tuareg-Gastarbeitern aus Algerien und Libyen sowie die Verweigerung staatlicher Hilfen zur Wiedereingliederung in die Gesellschaft, schufen ein Klima der Unzufriedenheit.
Am 7.Mai 1990 eskalierte die Situation: Tuareg-Kämpfer überfielen den
nigrischen Grenzposten Tchin-Tabaradene an der Grenze zu Mali. Den Sicher-
heitskräften gelang es, den Angriff abzuwehren, doch richteten sie unter der
Tuareg-Bevölkerung ein Massaker an. Die Angaben über die Zahl der Toten
schwanken zwischen 600 und 1.700. Daraufhin lieferte sich die Tuareg-
„Befreiungsfront von Air und Azawad“ (FLAA), die für die Unabhängigkeit des an Bodenschätzen reichen Nordens kämpfte, blutige Gefechte mit den
Regierungstruppen.
Mitte September 1990 trafen sich auf einem Sahara-Gipfel die Staatsober-
häupter von Niger, Mali, Algerien und Libyen in der Oase Djanet. Es wurden
auf dem Treffen verstärkte Grenzkontrollen vereinbart, um die Wanderung
der Tuareg einzuschränken.
Zu Beginn der 90iger Jahre wurden im Zuge der Auflösung der militärischen
Blöcke und der Beendigung des Ost-West-Konfliktes zahlreiche afrikanische
Diktatoren gestürzt oder mussten sich demokratischen Wahlen stellen. Auch Nigers Militärregierung konnte sich dieser Entwicklung nicht entziehen.

Im Juni 1990 initiierten die Gewerkschaften Massenproteste und Streiks
gegen die zunehmend härtere Sparpolitik der Regierung. Gleichzeitig gab es
wachsende Unruhen und Studentenproteste für demokratische Reformen und
eine erste unabhängige Wochenzeitung erschien. Der CSON sah sich ge-
nötigt, eine Verfassungsänderung zu verkünden, die einen Übergang zum
Mehrparteiensystem erleichtern sollte.
Ab Dezember 1990 konnten sich dann Parteien registrieren lassen, was 37
Organisationen wahrnahmen. Auch Djibo Bakary mischte wieder mit einer
neuen Partei, der UFPDP-Sawaba, im politischen Geschehen mit. Eine
endgültige Zulassung erreichten bis zum Oktober 1992 jedoch nur 18 Parteien.
Die Gewerkschaften, die sich frühzeitig für autonom erklärt hatten, legten mit
ihren Generalstreiks die wirtschaftlich lebensnotwendige Uran-Förderung
lahm. Dies führte schließlich im Juli 1991 zur Eröffnung einer Nationalen
Konferenz mit ca. 1.200 Teilnehmern aus 24 inzwischen gebildeten Parteien
und Organisationen, die über die Zukunft des Landes berieten.
Schien die Herrschaft des Militärs noch unter Kountché unantastbar, gelang
es der unter Saibou sich rasch formierenden Opposition und Zivilgesellschaft
nun, die Regierung einfach vor sich herzutreiben. Die Nationalkonferenz
erklärte sich kurz nach Beginn ihrer Arbeit für „souverän“: Nationalcharta
und Verfassung wurden außer Kraft gesetzt, die Nationalversammlung, der
Nationale Entwicklungsrat und die Regierung wurden für aufgelöst erklärt.
Für eine Übergangszeit von 15 Monaten wurde festgelegt, daß ein Oberster
Rat der Republik (HCR) unter dem Vorsitz von Prof. André Salifou die Funktion des Parlaments ausüben soll, während der parteilose Amadou Cheiffou Ende Oktober 1991 von der Nationalkonferenz zum Premier-
minister gewählt wurde. Präsident Saibou sollte im Amt bleiben, die National-
konferenz beschnitt aber radikal seine Macht und wies dem Amt des
Präsidenten nur noch zeremonielle Funktionen zu. Der Präsident und auch
die frühere Einheitspartei MNSD, die sich den Namenszusatz „Nassara“
(„Sieg“) zugelegt hatte, waren von den Ereignissen offensichtlich überrascht
wurden und akzeptierten dieses Vorgehen.
Amadou Cheiffou hatte von der Nationalkonferenz einen umfangreichen
Aufgabenkatalog erhalten und sollte nun demokratische Wahlen vorbereiten.
Eine neue Verfassung, die am 26.12.1992 mit 89,79% (Wahlbeteiligung
56,58%) vom Volk angenommen wurde, definierte Niger als parlamentarische
Präsidialrepublik.

Durch armeeinterne Revolten, Wirtschaftsprobleme, Misstrauensanträge
im Parlament und Tuaregaufstände sah sich die Cheiffou-Regierung ge-
zwungen, länger im Amt zu bleiben als angekündigt.
Trotz des am 11. April 1992 unterzeichneten Friedensvertrages zwischen
Regierung und Tuareg flammten die Kämpfe im Mai 1992 wieder auf.
Obwohl den Tuareg Zugeständnisse gemacht worden waren, wie z.B. lokale
Selbstverwaltung, einen Gefangenenaustausch oder die Rückkehr von
Flüchtlingen aus den Nachbarstaaten, blieben die Nordprovinzen Unruhe-
herde.

V. Endlich freie Wahlen!

Am 14. Februar 1993 war es soweit! In Niger sollte erstmals nach der
Unabhängigkeit eine freie und demokratische Parlamentswahl stattfinden.
Die kandidierenden Parteien hatten ihre Namen mit markigen Zusätzen ver-
sehen. So die schon erwähnte ehemalige Einheitspartei MNSD-Nassara
(„Sieg“) oder der Anfang 1991 gegründete Sozialdemokratische Konvent
CDS mit dem Zusatz „Rahama“ („Barmherzigkeit“). Die Partei Nigers
für Demokratie und Sozialismus
(PNDS) schmückte sich mit der Bezeichnung
„Tarayya“ („Vereinigung“) während die kleine Union der Volkskräfte für
Demokratie und Fortschritt
(UFPDP) von Djibo Bakary auf den Namen
ihrer Vorgängerorganisation „Sawaba“ als Namenszusatz zurückgriff.
Die Wahlen gewann eine „Allianz der Kräfte für den Wandel“ (AFC), die
aus 6 Oppositionsparteien bestand. Dazu gehörten neben dem CDS-Rahama,
der 22 der 83 Parlamentssitze erhielt, die PNDS-Tarayya (13 Sitze), die
Nigrische Allianz für Demokratie und Fortschritt (ANDP-Zaman Lahiya,
11 Sitze) die Fortschrittspartei des Niger – Afrikanische Demokratische
Sammlungsbewegung
(PPN-RDA, 2 Sitze) deren Name stark an die Partei
des ersten Präsidenten Hamani Diori erinnerte und die von seinem
Sohn geführt wurde sowie die Union für Demokratie und Sozialen Fort-
schritt
(UDPS-Amana) und die Sozialdemokratische Partei Nigers
(PSDN-Alheri) mit je 1 Sitz. Zusammen verfügte das Bündnis mit 50
Sitzen über eine stabile Mehrheit.
Die MNSD-Nassara wurde jedoch stärkste Einzelpartei mit 29 Mandaten. Neben ihr nahmen die UFPDP-Sawaba und die Patroitische
Union Fortschrittlicher Demokraten
UPDP-Chamoua mit je 2 Abge-
ordneten auf der Oppositionsbank platz.

Wenige Tage später, am 27. Februar 1993, wurde ein neuer Präsident
gewählt. Mit 34,22% lag Mamadou Tandja, ein früherer Innenminister
Seyni Kountchés, von der offensichtlich noch immer populären MNSD-
Nassara in Führung, während der Kandidat des CDS-Rahama, Mahamane Ousmane nur 26,59% erhielt. Auf Platz 3 und 4 folgten ihm
Mahamdou Issoufou (PNDS-Tarayya, 15,92%) und Moumouni Amadou
Djermakoye (ANDP-Zaman Lahiya, 15,24%). Die übrigen Wähler-
stimmen teilten sich Illa Kané (UPDP-Chamoua, 2,55%), Oumarou
Garba Yousouffou (PPN-RDA, 1,99%) und Omar Katzelma Taya
(PSDN-Alheri, 1,82%). Den letzten Platz belegte der betagte Djibo
Bakary (UFPDP-Sawaba) mit nur 1,68%.
Da keiner der Kandidaten über 50% der Stimmen erhalten hatte, kam
es zur Stichwahl zwischen Tandja und Ousmane, bei welcher der Sozial-
demokrat mit 54,42% über den MNSD-Kandidaten (45,58%) siegte.
Nach seiner offiziellen Amtseinführung am 16. April 1993 ernannte
Ousmane Mahamdou Issoufou (PNDS-Tarayya) zum Premierminister.
Die Tuareg-Guerilla FLAA nahm ab Januar 1994 ihre Aktivitäten wieder auf, da die von der nigrischen Übergangsregierung unter Amadou Cheiffou im März 1993 beim Waffenstillstandsvertrag gemachten Versprechen nicht bzw. nur teilweise in die Tat umgesetzt wurden. Mahamane Ousmane bemühte sich um die Etablierung demokratischer Strukturen in Staat und Verwaltung, was angesichts der
parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse nicht immer leicht war. Erst
im Mai 1994 konnte die MNSD-Nassara von ihrem Parlamentsboykott
abgebracht werden. Im Zuge der vom IWF geforderten Sparmaßnahmen
führten ausbleibende Sold-, Gehalts- und Stipendienzahlungen sowie
die Ankündigung einer 24-prozentigen Lohnkürzung zu Unruhen in
der Armee, Generalstreiks und gewalttätigen Auseinandersetzungen,
die mehrmals das öffentliche Leben in der Hauptstadt zum Erliegen
brachten.
Am 26. September zog sich die PNDS-Tarayya aus dem AFC-Bündnis
zurück und Issoufou (*1952) legte sein Amt als Regierungschef nieder.
Als Begründung gab er an, daß Präsident Ousmane unberechtigt in seine
Kompetenzen eingegriffen habe. Der Präsident ernannte Souley Abdoulaye (CDS-Rahama) zum neuen Premierminister, der allerdings schon am 17. Oktober 1994 zurücktreten musste, da MNSD und PNDS ein Misstrauens-votum gegen ihn eingebracht hatten. Ohne die PNDS fehlte dem AFC-Bündnis die notwendige Mehrheit zum Regieren.

Ousmane löste das Parlament auf und setzte vorzeitige Neuwahlen an,
die am 12. Januar 1995 abgehalten wurden. Abdoulaye wurde bis zu
den Neuwahlen kommissarisch wiedereingesetzt. Im Oktober 1994 war
es Niamey gelungen, dank der Vermittlung von Frankreich, Algerien und Burkina Faso einen Waffenstillstand mit den Tuareg zu schließen.
Der Vertrag sicherte ihnen erweiterte Mitbestimmungsrechte in der
Verwaltung und Regierung sowie großzügige Finanzhilfen zu.
Die Wahl im Januar 1995, zu der alle Parteien einzeln antraten, brachte
wenig Veränderung. Zwar konnte Ousmanes CDS-Rahama 2 Sitze hinzugewinnen, doch blieb die MNSD stärkste Partei mit nach wie vor
29 Sitzen. Die PNDS-Tarayya erhielt 12, die ANDP-Zaman Lahiya 9
und die UFPDP-Sawaba 3 Sitze. Je 2 Sitze bekamen die UDPS-Amana
und die PSDN-Alheri. Mit nur je einem Sitz mussten sich die Traditions-
partei PPN-RDA und die von Prof. André Salifou (dem Parlaments-
chef aus der Zeit der Demokratisierung unter Amadou Cheiffou) geführte UPDP-Chamoua begnügen. Auffällig ist, daß die programmatische oder ideologische Ausrichtung einer Partei in Niger eine völlig untergeordnete Rolle spielt. Der jeweilige Parteiführer verkörpert meist auch das Programm der Partei.
Klare Mehrheitsverhältnisse, wie von Ousmane erhofft, waren durch
die Wahl nicht geschaffen wurden. Im Gegenteil, die Lage hatte sich
verkompliziert. Um die Spaltung zu überwinden, beauftragte der Präsident den Oppositionspolitiker Amadou Cisse (MNSD) mit der
Regierungsbildung, was in der MNSD auf Ablehnung stieß. Die Partei
stellte ein Misstrauensvotum gegen Cisse und Ousmane ernannte den
MNSD-Generalsekretär Hama Amadou am 21. Februar 1995 zum
Regierungschef. Diese „cohabitation“ zwischen Präsident und
oppositioneller MNSD-Regierung und andauernde Kompetenzstreitig-
keiten machten die Lage immer komplizierter. Amadou wehrte sich
erfolgreich gegen Ousmanes Versuch, sich das Kabinettssekretariat
unterzuordnen.
Die Abgeordneten des AFC-Bündnisses boykottierten das Parlament
und scheiterten im Oktober 1995 mit einem Misstrauensvotum gegen
Amadou. Der Premierminister wiederum warf Präsident Ousmane Ver-
fassungsbruch vor, da dieser die Entscheidungen des Kabinetts für
null und nichtig erklärt hatte, nachdem dieses ihn von seinen Sitzungen
ausgeschlossen hatte. Das Land drohte in die Unregierbarkeit zu
schlittern.

Am 27. Januar 1996 putschte das Militär unter Generalstabschef
Oberst Ibrahim Bare Mainassara (*1950) gegen Ousmane. Die Präsidentengarde leistete den Putschisten zunächst Widerstand, ergab
sich nach einem Feuergefecht aber der Übermacht. Ousmane wurde mit
der Begründung, die Hauptverantwortung für den politischen Still-
stand zu tragen, inhaftiert, aber nach wenigen Tagen wieder auf freien
Fuß gesetzt. Mainassara erklärte die Regierung für abgesetzt und das
Parlament für aufgelöst. Er verhängte den Ausnahmezustand über das
ganze Land, setzte die Verfassung außer Kraft und ließ alle politischen
Parteien verbieten.
Der Sturz des ersten, in der Geschichte Nigers demokratisch gewählten
Präsidenten, Mahamane Ousmane, bei dem 2 Menschen ums Leben
kamen, wurde weltweit verurteilt.

VI. Putsch und Gegenputsch

Oberst Mainassara war in Niger kein Unbekannter, war er doch schon für
Militärdiktator Kountché als Adjutant und Kommandeur der Präsidenten-
garde tätig. Für Kountchés Nachfolger Ali Saibou übernahm er den Posten
des Gesundheitsministers. Er rechtfertigte den Putsch damit, daß der gestürzte
Ousmane ihm gegenüber gedroht habe, die Verfassung „einfrieren“ zu wollen,
um die Paralysierung zwischen ihm und dem Premierminister in den Griff zu
bekommen. Am 12. Februar 1996 erkannte der ehemalige Präsident das neue
Regime an. Mainassara, inzwischen Präsident eines „Nationalen Heilsrats“
(CNS), ernannte den bisherigen Finanzminister Boukari Adji zum Regierungs-
chef der fast ausschließlich aus Zivilisten bestehenden Übergangsregierung.
Diese sollte bis September 1996 im Amt bleiben und Neuwahlen vorbereiten.
Aufgrund des massiven Drucks westlicher Geberländer hatte der Präsident
demokratischen Wahlen zugestimmt. Doch zuvor ließ er sich vom Volk (Wahlbeteiligung 35,1%) am 12. Mai 1996 in einem Referendum mit 92,34% eine neue Verfassung mit weitreichenden Vollmachten für den Staatschef bestätigen.
Die Präsidentschaftswahlen vom Juli 1996 gewann Mainassara mit 52,22%.
Neben den 3 führenden Oppositionspolitikern Mahamane Ousmane, CDS
(19,75%); Mamadou Tandja, MNSD (15,65%) und Mahamadou Issoufou,
PNDS (7,6%) trat noch Moumouni Amadou Djermakoye (*1939) von der
ANDP-Zaman Lahiya an, der 4,77% der Stimmen bekam. Djermakoye ge-
hörte in den siebziger Jahren dem CMS von Seyni Kountché an und hatte
diesem von 1974-1979 als Außenminister gedient. Während des politischen
Tauwetters unter Ali Saibou wollte Djermakoye Vorsitzender der MNSD
werden. Als allerdings Tandja zum Parteichef gewählt wurde, spaltete er
1990 mit seinen Anhängern die ANDP ab. Bei der Präsidentschaftswahl 1993
belegte er den 4. Platz.
Die Opposition warf dem Präsidenten Manipulation der Wahlen vor und
boykottierte daraufhin die am 23.11.1996 stattfindenden Parlamentswahlen,
bei denen die Nationale Union der Unabhängigen für die demokratische
Erneuerung (UNIRD), die dem Präsidenten nahe stand, mit 56 Sitzen die
absolute Mehrheit gewinnen konnte. Zweitstärkste Kraft wurde mit 8 Sitzen
die ANDP-Zaman Lahiya von Djermakoye, der sich mit Mainassara arrangiert
hatte. Die von Prof. André Salifou, dem Parlamentspräsidenten aus der Zeit
der demokratischen Wende (1991-1993), geführte UPDP-Chamoua erhielt
4, die UDPS-Amana 3 Sitze. Neu im Parlament waren die Partei für die
Würde des Volkes PDP-Daraya (3 Sitze), die Partei der Arbeiterbewegung
PMT-Albarka (2 Sitze) und die Bewegung für Demokratie und Fortschritt
MDP-Alkawali mit 1 Sitz. Drei weitere Mandate gingen an unabhängige Kandidaten, während die Ergebnisse für 3 andere Sitze vom Obersten Gericht
für ungültig erklärt wurden. Nach der Präsidentenwahl verringerte Mainassara
weiter den Anteil der Militärs an der Regierung. Unter Führung des gestürzten
Ousmane schlossen sich 8 Oppositionsparteien zur Front für die Wiederher-
stellung und Verteidigung der Demokratie (FRDD) zusammen. Das Bündnis
forderte die Annullierung der Präsidentschaftswahlen und die Einsetzung einer
unabhängigen Wahlkommission. Die Nichterfüllung dieser Forderung war
dann auch der Grund für den Boykott der Parlamentswahlen.
Der frühere Weltbankmitarbeiter Amadou Cissé (MNSD) wurde nach der
Wahl zum neuen Chef einer 27-köpfigen Regierung gewählt. Noch am
gleichen Tag strichen die im Pariser Club vertretenen Staaten 67% der Schulden Nigers im Zuge einer Schuldenumstrukturierung.
Das Oppositionsbündnis FRDD organisierte unterdessen mehrere Demonstrationen, die nur geringe Resonanz beim Volk fanden. Bei der gewalt-
samen Auflösung einer Demonstration in Niamey setzten die Sicherheits-
kräfte Tränengas ein und schlugen mindestens 20 Menschen zusammen.
Einige Stunden später wurden die 3 wichtigsten Oppositionsführer Ousmane,
Issoufou und Tandja verhaftet. Im Landesosten kam es zu Zusammenstößen
zwischen Militär und der Demokratischen Revolutionären Front (FDR), einer
bewaffneten Oppositionsgruppe. Kurz darauf kündigte die Regierung an, das
1974 gegründete, seit 1990 nicht mehr aktive Staatssicherheitsgericht wieder
einzusetzen. Dieses Gericht kann Angeklagte bis zu 2 Monaten ohne
Kontakt zur Außenwelt in Untersuchungshaft halten. Berufungen von
höheren Gerichten gegen ein Urteil des Staatssicherheitsgerichts sind nicht
möglich.
Nach den letzten Demonstrationen wurden ca. 100 weitere Oppositionsan-
hänger verhaftet. Allerdings wurden die Oppositionellen nicht vor das Staats-
sicherheitsgericht gestellt, dessen Reaktivierung wohl nur einen Ein-
schüchterungsversuch darstellen sollte, sondern schon nach wenigen Tagen
wieder entlassen.
Am 27. November 1997 entließ Mainassara Premierminister Cissé wegen
angeblicher Amtsunfähigkeit und ernannte den bisherigen Außenminister
Ibrahim Hassane Maiyaki zum Nachfolger.
Die Behörden nahmen mehrere Personen in Gewahrsam, die sich kritisch
über die Regierung geäußert hatten, so zum Beispiel El Hadji Bagnou Bonkoukou, den Vorsitzenden der „Nigrischen Liga zur Verteidigung der Menschenrechte“ oder den Rechtsanwalt Souleye Oumarou. Dieser gehörte zu einer Gruppe von Anwälten, die planten, Präsident Mainassara wegen seines Putsches strafrechtlich zu belangen.
Außenpolitisch lehnte sich die neue Regierung enger an Libyen an. Präsident
Mainassara holte Oberst Ghaddafi sogar im Flugzeug zu einem von 50.000
Gläubigen besuchten Freitagsgebet im Nachbarland Nigeria ab, bei dem auch
dessen Diktator Sani Abacha anwesend war. Mainassara hatte auch maß-
geblichen Anteil an der Gründung der Regionalorganisation Comessa, einem
politischen Projekt Ghaddafis, bei dem dieser sich mehr Einfluß auf die
Politik der Sahelstaaten erhoffte. Diese wiederum glaubten, durch die Comessa
werde sich für sie der Weg zum Mittelmeer eröffnen.
Nach dem 1. Januar 1998 wurde Ex-Premier Hama Amadou zusammen mit
71 weiteren Personen unter dem Vorwurf, ein Attentat auf den Präsidenten
geplant zu haben, verhaftet. Der im Volk beliebte Amadou wies die
Beschuldigungen zurück und erklärte, daß er einen Machtwechsel nur mit
friedlichen Mitteln anstrebe.
Die Repressionen gegen Oppositionelle hielten unterdessen an: im März ver-
wüsteten Militärangehörige die Räume des unabhängigen Rundfunksenders
„Radio Anfani“ und nahmen 5 Mitarbeiter fest, Zeugen wurden einge-
schüchtert. Im April wurden 22 Gewerkschafter wegen Sabotage vor Gericht
gestellt – sie hatten an einem Streik teilgenommen, der sich gegen Privatisierungspläne richtete. In dessen Verlauf war die Stromversorgung für die Hauptstadt unterbrochen wurden.

Am 16. April 1998 starb der Oppositionspolitiker und frühere Unabhängig-
keitsführer Djibo Bakary, der über 50 Jahre lang die Politik Nigers mitbe-
stimmen wollte, nach der Unabhängigkeit aber nicht mehr zum Zuge kam.
In mehreren Teilen des Landes begannen Ende Februar Meutereien von
Teilen des Militärs. Die Soldaten forderten ihren seit Monaten ausstehenden
Sold ein und prangerten die Vorzugsbehandlung ehemaliger, in die Armee
integrierter Rebellen an. Präsident Mainassara verlor zunehmend Rückhalt
im Militär.
Die Bevölkerung wächst – trotz einer durchschnittlichen Lebenserwartung
von nur 47 Jahren, einer Aidsinfektionsrate von 20% und einem BSP pro
Kopf von nur knapp 200 US-Dollar – jährlich um 3,4%.
Die bewaffnete Oppositionsgruppe FDR nahm derweil unbewaffnete Zivil-
personen als Geisel, darunter auch einen kanadischen Sozialarbeiter, der 4
Monate lang festgehalten wurde. Mit Härte ging das Militär gegen diese
Gruppierung vor. So soll es zu illegalen Hinrichtungen vermeintlicher FDR-
Sympathisanten aus dem Volk der Tubu gekommen sein. Im August 1998
erfolgte dann ein Waffenstillstand zwischen der Regierung und der haupt-
sächlich in den Ostprovinzen Kawar und Manga aktiven FDR.
Amnesty International übte an der Regierungspolitik scharfe Kritik und
forderte die Beendigung der Menschenrechtsverletzungen durch die Sicher-
heitskräfte, das Ende der Straffreiheit für die Täter, die Abschaffung des Staats-
sicherheitsgerichtes und bat die Regierung sicherzustellen, daß die Prozesse
vor ordentlichen Gerichten internationalen Standards für ein faires Gerichts-
verfahren entsprechen.
Aufgrund des Weltmarktpreisverfalls für Uran und immer längeren Dürre-
perioden in der Sahelzone verschlechterte sich die wirtschaftliche Lage Nigers
weiterhin. Der Präsident verlor weiter an Sympathien als das Oberste Gericht
die von der Opposition knapp gewonnenen Kommunalwahlen wegen offen-
kundiger Fälschungen annullierte und die Opposition dies zum Anlass nahm,
Mainassaras Rücktritt zu fordern.
Am 9. April 1999 wurde der 49-jährige Präsident – nachdem Panzer auf-
ständiger Militärs in die Hauptstadt eingedrungen waren – bei dem Versuch, ins Ausland zu fliehen, auf dem Flughafen von Niamey erschossen. Während
die Präsidentengarde Präsident Ousmane 1996 gegen die Putschisten verteidigt
hatte, waren es nun die eigentlichen Beschützer des Präsidenten, denen dieses
Attentat zur Last gelegt wurde. Mainassara, der nach Augenzeugenberichten
mit einem schweren Maschinengewehr beschossen wurde, starb nicht sofort.
Die tödlichen Schüsse soll Daouda Malam Wanké, der Führer der Präsidentengarde auf das am Boden liegende Opfer selbst abgegeben haben, so der
Sicherheitschef des Staatsoberhauptes in einem BBC-Interview.
Ibrahim Bare Mainassara, Vater von 5 Kindern, wurde nach einer kurzen
moslemischen Zeremonie, zu der mehr als 100 Trauergäste, darunter der Oberbefehlshaber der Armee, führende Militärs, Geistliche und Diplomaten aus den Nachbarländern kamen, in Doumega beigesetzt.
Die Ereignisse nach dem Mord erschienen der Bevölkerung in Niger nur noch
wie Routine: Major Daouda Malam Wanké übernahm mit einem 13-köpfigen
„Nationalen Versöhnungsrat“ die Macht, erklärte sich selbst zum Präsidenten
und löste das Parlament auf. In einer ersten Erklärung informierte die Militär-
regierung darüber, daß sie das Land 9 Monate zu regieren plane und setzte
den Armeeoberbefehlshaber Mousa Moumouni Djermakoye ab. Der Tod von
Mainassara wurde offiziell als „bedauerlicher Unfall“ bezeichnet.
Ministerpräsident Maiyaki wurde zunächst vom Amt suspendiert, aber bald
darauf per Dekret wieder eingesetzt. In seiner neuen Regierung waren neben
17 Zivilisten nur 2 Militärs vertreten, Parlaments- und Präsidentschaftswahlen
sollten nun im Herbst abgehalten werden. Fast alle Parteien stellten sich
hinter die Putschisten.
In die Amtszeit von Major Wanké fiel auch der Ausbruch einer Meningitis-
Epidemie mit etwa 300 Toten. Daraufhin plante die Regierung eine groß-
angelegte Impfkampagne.
Eine neue Verfassung wurde am 18. Juli 1999 per Referendum angenommen.
Die Wahlbeteiligung betrug allerdings nur 31,2%.
Die Regierungsbilanz von Oberst Ibrahim Baré Mainassara blieb zwiespältig.
Hatte sein Putsch zunächst Stabilität gebracht und den lähmenden Parteien-
streit beendet sowie den Friedensschluß mit Tuareg- und Tubu-Rebellen
ermöglicht, führte er auch zu Menschenrechtsverletzungen und letztlich zu
einem innenpolitischen Stillstand, da sich die Opposition in seltener Ein-
trächtigkeit gegen den Präsidenten stellte.
Der neue Präsident Wanké hielt sein Versprechen: am 17. Oktober fanden
wieder freie Präsidentschaftswahlen statt. Daß das neue Staatsoberhaupt kein
dauerhaftes Interesse an politischer Macht hatte, mag wohl auch an seinem
schlechter werdenden Gesundheitszustand gelegen haben.

VII. Die Rückkehr zur Demokratie

Die ersten Plätze bei der Wahl belegten die 3 führenden Politiker Nigers:
Mamadou Tandja, MNSD, mit 32,3%; Mahamadou Issoufou, PNDS, mit
22,78% und Mahamane Ousmane, CDS, mit 22,52%. Außerdem traten neben Hamid Algabid, dem ersten zivilen 1983 von Seyni Kountché
ernannten Premierminister (Sammlungsbewegung für Demokratie und
Fortschritt RDP-Jama´a, 10,86%), Moumouni Amadou Djermakoye
(ANDP-Zaman Lahiya, 7,74%), Ex-Parlamentschef Prof. André Salifou von der UPDP-Chamoua (2,08%) und der politische Newcomer Amadou Ali Djibo von der UNI (1,72%) an. Da keiner der Kandidaten die absolute
Mehrheit erhalten hatte, kam es zur Stichwahl zwischen Tandja und Issoufou
am 24.11.1999. Kountchés früherer Innenminister trug mit 59,89% den Sieg
über den Sozialisten Issoufou davon, der 40,11% erhalten hatte. Die Wahl-
beteiligung lag im 1. Wahlgang bei 43,7%, beim 2. Urnengang bei 39,4%.
Wenige Tage später, am 24. November 1999, wurde dann auch eine neue
Nationalversammlung gewählt. Nur 5 Parteien gelangten ins Parlament: die
MNSD (38 Sitze), die CDS (17 Sitze), die PNDS (16 Sitze), Hamid Algabids
RDP-Jama´a (8 Sitze) und die ANDP-Zaman Lahiya des wendigen Politikers
Djermakoye (4 Sitze). Die inzwischen von Ibrahim Bawa Souley geführte
UFPDP-Sawaba war im neuen Parlament nicht mehr vertreten. Nach dem
Tod ihres Gründers Bakary wurde endgültig zur politischen Randerscheinung.
Allerdings dürften es gerade die kleineren Parteien schwer gehabt haben,
sich nach dem Ende der fast 4-jährigen Militärherrschaft zu reorganisieren, da ihnen weit weniger Mittel und Personal zur Verfügung standen, als den bereits „etablierten“ Parteien.
Bis auf die ANDP waren auch keine Parteien aus der Ära Mainassara mehr im neuen Parlament vertreten. Um eine Spaltung wie in den Jahren nach 1993
zu verhindern, ging Präsident Tandja eine Koalition mit der zweitstärksten Partei, der CDS von Mahamane Ousmane, ein. Hama Amadou (MNSD)
wurde zum Premierminister ernannt und Ousmane erhielt den Posten des
Parlamentspräsidenten.
Der neue Präsident wollte aber auch die außerparlamentarische Opposition
beteiligen. So wurden z.B. Mitglieder nicht im Parlament vertretener Klein-
parteien als Minister ernannt. Der Bergbauingenieur Issoufou Assoumane
(UFPDP-Sawaba) wurde Minister für „Umwelt und Bekämpfung der
Versteppung“, der Präsident der Nigrischen Partei für Einheit und Demo-
kratie
(PUND), Akouli Daouel, Regierungssprecher und der Präsident der
Union der Unabhängigen Demokraten (UDI) Ali Sirfi Maiga wurde Justitz-
minister. Tandja bemühte sich, demokratische Defizite der Vergangenheit
abzubauen. Gerade die Einbeziehung nichtparlamentarischer Gruppen und
Parteien in die Regierungsarbeit wies Ansätze einer sogenannten
„Minderheitendemokratie“ auf. Diese Form der Demokratie beinhaltet die Einbeziehung qualifizierter politischer Minderheiten in die parlamentarische
oder Regierungsarbeit. Gerade der Westen, der den Entwicklungsländern
immer gern Lektionen in Demokratie erteilen möchte, sollte sich hier am
Handeln des nigrischen Präsidenten ein Beispiel nehmen, wird in Europa
und Nordamerika die Politik doch weitgehend vom Kartell der Berufs-
politiker bestimmt, die auf kleinere Parteien oder NGOs oft naserümpfend
herabsehen und sie als Störenfriede betrachten, statt auch ihnen Gehör zu schenken.
Die parlamentarische Opposition lehnte eine Regierungsbeteiligung jedoch
ab. Bei seiner Vereidigung am 3.1.2000 erklärte Premierminister Amadou,
daß die 83 Abgeordneten des Parlaments aufgrund der schlechten Haus-
haltslage nicht bezahlt werden können und appellierte an die Geberländer,
ihre nach dem Putsch von Major Wanké suspendierten Zahlungen wieder
aufzunehmen.
Nach dem Frankreich, Belgien, Dänemark, China u.a. wieder Geld bereit-
stellten, konnten dank einer stringenten Sparpolitik auch wieder Gehälter
an die Staatsbediensteten gezahlt werden, die z.T. seit 1 Jahr kein Geld
mehr bekommen hatten. Tandja gelang es, die Lage im Land weiter zu
stabilisieren, wozu nicht zuletzt der demokratische Umgang der Regierung
mit den Oppositionsparteien und das Eingehen auf die Forderungen der
Gewerkschaften nach einer gerechteren Sozialpolitik beitrugen.
Die Opposition konnte zur Aufhebung ihres Parlamentsboykotts bewegt
werden. Mit den Gewerkschaften, die in den letzten Jahren durch unzählige,
teilweise gewaltsame Streiks Schulen und Verwaltung lahm legten,
entspann sich ein Dialog. Die regelmäßige Auszahlung von Lehrer-
gehältern und Stipendien wurde wieder aufgenommen.
Die wirtschaftliche Wiederbelebung des Landes war überfällig. Machten die
Exporteinnahmen von Uran, Magnesium und Phosphat noch in den 80iger
Jahren 32% des Bruttoinlandsproduktes aus, so sind es heute nur noch 3,2%.
Trotz umfangreicher UN-Entwicklungsmaßnahmen blieb Niger das Land mit
der höchsten Analphabetenquote der Welt (ca. 86%) und nach Äthiopien der
ärmste Staat der Erde. Allerdings war Niger in punkto Infrastruktur und
Industrie noch unterentwickelter als das ehemalige Kaiserreich am Horn von
Afrika. Die Zahl der AIDS-Toten nahm trotz Verbesserungen im Gesundheits-
bereich zu.
Anfang 2001 kam es in Niamey zu schweren Zusammenstößen zwischen der
Polizei und demonstrierenden Studenten, die bessere Studienbedingungen
forderten. Es gab zahlreiche schwer verletzte Personen. Die Universität von
Niamey – die einzige im ganzen Land – wurde daraufhin geschlossen.

Mehrere Oppositionsparteien und Menschenrechtsgruppen protestierten
gegen dieses Vorgehen.
Eine seit Dezember 2000 anhaltende Dürre führte bis Mai 2001 in 20 von
36 Bezirken zu erheblicher Nahrungsmittelknappheit, 3,6 Millionen
Menschen waren betroffen, Familien mussten ihre Dörfer verlassen und das Welternährungsprogramm startete ein Soforthilfeprogramm in Höhe von 5 Mio. US-Dollar.
Die Lage wurde noch verschärft durch mehrere zehntausend nigrische Gastarbeiter, die fluchtartig Libyen verlassen mussten. Durch die US- und
UN-Sanktionen war es im Libyen Muammar al-Ghaddafis zu einer wirtschaftlichen Verschlechterung gekommen. Die frustrierte Bevölkerung
fand in den ausländischen Gastarbeitern willkommene Sündenböcke für
die wirtschaftliche Misere.
Während eines Besuches von Hama Amadou am 29.9.2000 in der libyschen
Hauptstadt Tripolis war es sogar zu Krawallen zwischen Einheimischen und
Gastarbeitern gekommen, bei denen die nigrische Botschaft in Brand gesteckt
wurde.
Am 24.1.2001 wurde Hamid Algabid als Vorsitzender der RDP-Jama´a
wiedergewählt. Dieser forderte im Rahmen der Veranstaltung eine Unter-
suchung der Ermordung des Ex-Präsidenten und früheren RDP-Chefs Ibrahim
Baré Mainassara.
Bei der UFPDP-Sawaba übernahm der frühere Umweltminister Issoufou
Assoumane den Vorsitz von Ibrahim Bawa Souley.
Bei einer Kabinettsumbildung am 17.9.2001 wurden 10 Ministerposten neu
besetzt, u.a. wurde Aichatou Mindaoudou neue Außenministerin.
Noch immer gab es Zusammenstöße mit der Rebellenorganisation „Revolutionäre Streitkräfte der Sahara“ (FARS) in der Nähe der libyschen Grenze. Die FARS war die einzige Rebellengruppe, die sich der Entwaffnung
und dem mit der Regierung 1995 ausgehandelten Friedensabkommen wider-
setzte. Chahayi Barkaye, der Anführer der Gruppe, wurde bei den Gefechten
getötet.
Endlich bewilligte die Afrikanische Entwicklungsbank (ADB) 21 Mio. US-Dollar zur Finanzierung eines Gesundheitsfürsorgeprogramms.
Sklavenhaltung ist in Niger – obwohl gesetzlich verboten – nach wie vor weit verbreitet. In der nördlichen Region Tahoua befreiten Polizeieinheiten und
Mitarbeiter einer Menschenrechtsorganisation am 3.12.2001 zehn als Sklaven
gehaltene Menschen. Nach einer 1999 durchgeführten Studie gibt es in
Niger vermutlich mehr als 20.000 Sklaven.

Das brutale Vorgehen des israelischen Ministerpräsidenten Ariel Scharon
gegen die Palästinenser in den besetzten Gebieten führte am 15.4.2002 zu
einer pro-palästinensischen Demonstration tausender Bürger Nigers in der Hauptstadt. Vor der Hauptmoschee verbrannten die Demonstranten die
israelische Flagge und beschuldigten Scharon des Völkermordes. Wohl
auch aus Furcht vor der aufgebrachten Masse brach die Regierung wenige
Tage später die Beziehungen zu Israel ab.
Unter dem Vorwurf, sie hätten Premierminister Amadou in ihren Artikeln
bzw. Radiosendungen diffamiert, wurden am 17. und 18.5.2002 drei Journalisten inhaftiert, was sofort zahlreiche Journalistenverbände wie
Reporters Sans Frontieres (RSF) auf den Plan rief, die ihre Freilassung forderten.
Am 5.8.2002 wurde eine Revolte der Streitkräfte niedergeschlagen, die die Auszahlung ihres noch ausstehenden Soldes forderten. Bereits am 31. Juli
waren Meutereien in einigen Kasernen im Osten des Landes ausgebrochen.
Das diese aber in Zusammenhang mit der Augustrevolte standen, wurde von
der Regierung aber abgestritten und bald stabilisierte sich die Lage wieder.
Ab 9.11.2002 bildete die MNSD eine gemeinsame Regierung mit der
ANDP-Zaman Lahiya und Moumouni Amadou Djermakoye wurde Minister
für Afrikanische Integration und für die Umsetzung des Programms „Neue
Partnerschaft für die Entwicklung Afrikas“ (NEPAD).
Eine als „Sultangate“ bekannt gewordene Affäre zog indessen weite Kreise.
Der ehemalige Sultan der Region Zinder, Aboubacar Sanda, wurde wegen Drogenhandels und Geldwäsche zu einer Haftstrafe von 2 Jahren verurteilt.
Dies galt aus 2 Gründen als Tabubruch: zum einen kam es noch nie vor, daß ein einflussreicher, traditioneller Führer vor ein Gericht gestellt wurde, zum anderen ist Sanda Vorsitzender der nigrischen Vereinigung traditioneller Führer, die einen erheblichen Einfluß auf den Ausgang von Wahlen ausüben.
Obwohl Sanda diese Vorwürfe bestritt, war er als Sultan abgesetzt worden.
Um ihren Krieg gegen den Irak zu legitimieren, hatte die US-Regierung von
George W. Bush behauptet, der irakische Diktator Saddam Hussein besitze Massenvernichtungswaffen. Als Beweis dafür präsentierte die US-Regierung
ein Schreiben, in dem die Lieferung von 500 Tonnen konzentrierten nigrischen
Urans an den Irak bestätigt wurde.
Das Schreiben war aber eine offenkundige Fälschung (in einer ganzen Reihe
von den USA manipulierter Beweise), denn der nigrische Minister, der dieses
Schreiben „unterzeichnet“ hatte, war zum Zeitpunkt der Unterzeichnung gar
nicht mehr im Amt.

Dies führte zu Spannungen zwischen Niger und den USA und am 16.7.2003
gab Bush zu, daß die Behauptung, daß der Irak nigrisches Uran gekauft habe,
nicht der Wahrheit entsprach.
Auch innenpolitisch hatte diese Affäre für Kontroversen zwischen der
MNSD-Regierung und der Opposition geführt. Während die Regierung noch
überlegte, ob sie von den USA eine Entschuldigung fordern sollte, war Tandja
nach Dakar (Senegal) gereist, um dort Präsident Bush zu treffen.
Die Opposition warf Tandja deshalb Opportunismus vor, doch die Regierung
befand sich in der Zwickmühle. Sie hatte nämlich nicht nur die angeblichen,
von den USA unterstellten, Uranlieferungen in den Irak dementiert, sondern
auch die in den 80iger Jahren erfolgten, noch legalen Lieferungen an das
Saddam-Regime geleugnet.
Der PNDS-Politiker Mahamadou Issoufou profilierte sich zunehmend als
führender Kopf der Opposition.
Erneute Vorwürfe der USA, Niger habe dem Irak Uran geliefert, wies der
ehemalige Premierminister Ibrahim Mayaki am 14.7.2004 entschieden zurück.
Auf Initiative des französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac fand am
26.-27.3.2004 eine Konferenz von sieben Anrainerstaaten des Flusses Niger
statt. Dieser ist die wichtigste Lebensader der Sahelzone und droht auszu-
trocknen und zu versanden. Im August 2003 wie auch im Jahr 1984 war das
Flussbett in Niamey fast völlig trocken. Die Konferenz soll nun Maßnahmen
gegen die weitere Austrocknung diskutieren.
Im selben Jahr wurden in Niger bedeutende Fossilienfunde gemacht.
Am 16. November 2004 standen wieder Präsidentschaftswahlen an. Die
Kandidaten waren für die Wähler alles alte Bekannte. Neben Präsident Mamadou Tandja, der 40,67% der Stimmen erhielt traten noch der sozial-
demokratische Ex-Präsident und jetzige Parlamentschef Ousmane (17,43%)
und Oppositionsführer Mahamadou Issoufou (24,60%) an.
Der frühere Übergangspremier aus der Demokratisierungsära, Amadou Cheiffou von der Sozialdemokratischen Sammlungsbewegung (RSD-Gaskiya)
erhielt 6,35%, der wendige Ex-Minister Moumouni Amadou Djermakoye (ANDP-Zaman Lahiya) 6,07% und Hamid Algabid von der RDP-Jama´a bekam 4,89% der Stimmen.
Für den 4. Dezember war dann eine Stichwahl zwischen Tandja und Issoufou
angesetzt. Da seine CDS eine Koalition mit der MNSD nach den am gleichen
Tag stattfindenden Parlamentswahlen anstrebte, rief der drittplatzierte Ousmane zur Wahl Tandjas auf, welcher dann auch mit 65,53% über Issoufou
(34,47%) triumphierte.
Die gleichzeitig stattfindenden Parlamentswahlen hielten dann auch keine
Überraschung bereit. Die Regierungsparteien wurden weitgehend bestätigt.
Die MNSD erhielt 47 und die CDS 22 Mandate. Mit 25 Sitzen wurde
die PNDS-Tarayya erstmals zweitstärkste Kraft noch vor Ousmanes Sozial-
demokraten. Bei genauerem Hinsehen hatte sie das aber nur geschafft, weil
sie eine gemeinsame Liste mit 4 kleineren Parteien aufgestellt hatte. So
fielen von den 25 errungen Mandaten der PNDS insgesamt 8 an PPN-RDA,
PNA, UNI und UDR-Tabbat. Des weiteren zogen die RSD-Gaskiya von
Amadou Cheiffou mit 7, die RDP-Jama´a mit 6 und die ANDP-Zaman Lahiya
mit 5 Abgeordneten ins Parlament ein. Die PSDN-Alheri erhielt einen Sitz.
Insgesamt fielen 3,8% der Stimmen noch auf andere kleine Parteien, die den
Sprung ins Parlament nicht schafften.
Die Abgeordneten wählten Mahamane Ousmane, dessen CDS eine Koalition mit der Partei des Präsidenten einging, zum Parlamentschef. Zum Minister-
präsidenten wurde erneut Hama Amadou ernannt.
Issoufous PNDS warf der Regierung Wahlmanipulationen vor. So zum
Beispiel seien entlang der Grenzen Ausländer zur Wahl zugelassen oder gefälschte Wahlkarten verteilt wurden. Unabhängige ausländische Wahl-
beobachter bescheinigten aber weitgehend freie, transparente Wahlen ohne
größere Unregelmäßigkeiten. Da die Wahlbeobachter aber nur kurzfristig
im Lande und der lokalen Sprachen meist nicht mächtig sind und oft nur
französisch oder englisch sprechen, ist es mit Vorsicht zu genießen, wenn
derartige Aussagen für ein so großes Land wie Niger gemacht werden.
Am 21.5.2005 startete Tandja mit seinen Amtskollegen Abdoulaye Wade
(Senegal), Olusegun Obasanjo (Nigeria) und dem Premierminister der Republik Guinea, Cellou Dalein Diallo, eine Vermittlungsoffensive, mit dem
Ziel, eine Krise in Guinea-Bissau abzuwenden. Der ehemalige Präsident
Kumba Yala (2000-2003) hatte dort seine Absetzung durch das Militär für
illegal bezeichnet und sich unmittelbar vor den Wahlen 2005 wieder selbst
zum Präsidenten ausgerufen.
Im Jahr 2005 wurde Niger von einer schrecklichen Hungersnot heimgesucht,
die zum Teil hätte vermieden werden können. Bereits 2004 hatten eine lange
Dürre und eine anschließende Heuschreckenplage in der Sahelzone für
extrem schlechte Ernten gesorgt. Die Vorräte in den Getreidespeichern schrumpften. Zahlreiche Hilfsorganisationen machten schon Ende 2004 bei
den Vereinten Nationen auf die drohende Hungersnot aufmerksam und mahnten Hilfe an. Anders als im Nachbarland Mali schloß sich die nigrische Regierung den Appellen der Hilfsorganisationen nicht an. Im Spätsommer
2005 bestritt Tandja immer noch, daß es eine Hungersnot in Niger gäbe,
obwohl Premier Amadou am 28.5.2005 (leider viel zu spät) die internationale Gemeinschaft um Hilfe bat.
Tandja behauptete in einem BBC-Interview, die Hungersnot sei von den
Hilfsorganisationen nur aus Gründen der Spendenbeschaffung herbeigeredet
wurden. Außenministerin Aichatou Mindaoudou hingegen, machte die UN-
Hilfswerke für die Hungersnot verantwortlich, die sie bereits 2004 auf die
Probleme hingewiesen habe.
Im Jahr 2005 waren mindestens 3,6 Millionen Menschen auf Nahrungsmittel-
hilfe angewiesen, ca. 150.000 Kinder waren unterernährt.
Nachdem die Hilfslieferungen angelaufen waren, wurde eine Journalistin der
staatlichen Zeitung Le Sahel, die über die Hilfslieferungen berichtete,
entlassen.
Die unrühmliche Rolle, die Präsident Tandja, dessen Partei sich eigentlich
die Selbstversorgung der Bevölkerung auf die Fahnen geschrieben hatte,
seit dem Ausbruch der Katastrophe spielte, erstaunte die internationalen
Beobachter.

Schlussbetrachtung

Niger gehört heute zu den 5 ärmsten und unterentwickeltsten Ländern
der Welt. Daran hat auch Kountchés Konzept der Entwicklungsgesellschaft
nichts ändern können. Zwar ging es nach dem Sturz Dioris 1974 wirtschaftlich
aufwärts, doch lag dies vor allem an dem gestiegenen Weltmarktpreis des
Urans. Politisch orientierte sich das Konzept der Entwicklungsgesellschaft
an traditionellen afrikanischen Vorstellungen. Dem Land stand ein „Big Man“,
eine Art autokratischer Häuptling (in diesem Fall Kountché) vor, während auf lokaler und nationaler Ebene die Probleme in den Entwicklungsräten basisdemokratisch diskutiert werden sollten, genauso wie sie auf der
dörflichen Ebene im traditionellen Palaver gelöst werden.
Nach Kountchés Vorstellungen sollte sich das Land weder an „westlichen
noch an östlichen Maßstäben“ orientieren.
Es ist für Außenstehende schwer zu erkennen, wie viel heute noch von der
ursprünglichen „Entwicklungsgesellschaftsidee“ die Politik der MNSD-Regierung bestimmt. Fest steht aber, daß auch sie sich bemüht, das Land
wirtschaftlich und demokratisch aufzubauen. Da verwundert es um so mehr,
daß man ihr vorhalten muß, während der Hungerkatastrophe 2005 versagt
zu haben. Unter der Kountché-Regierung hatte die Deutsche Gesellschaft
für Technische Zusammenarbeit in den 70iger Jahren ein Netz von Silos in
Niger errichtet. Als Anfang der 90iger Jahre die Getreidespeicher an den
Staat übergeben wurden, blieben diese weitgehend leer.

Warum nun Präsident Tandja so beharrlich die Hungersnot klein geredet hat,
ist auch unverständlich. Waren es wirklich die Präsidentschaftswahlen
Ende 2004, die es zu gewinnen galt? Dann hätte er sich als verantwortungs-
bewusster Staatschef aber spätestens im Jahr 2005 den Aufrufen der Hilfs-
organisationen anschließen müssen! Oder war es die Angst, wenn die Miß-
stände bekannt würden, könnte es einen Umsturz geben, wie 1974 und 1996?
Haben die Hilfsorganisationen vielleicht doch nur das Elend aufgebauscht,
wie Tandja behauptet, um mehr Spenden einsammeln zu können? Zumindest
der norwegische Entwicklungshelfer Arne Victor Garvi, der in Niger versucht,
wüstenverträgliche Pflanzen zu züchten, stützt diese These (SPIEGEL 51/2005).
Im Dezember 2005 war von der Hungersnot jedenfalls in den Medien nichts
mehr zu hören, so als sei alles ausgestanden.

Ich persönlich halte die Grundidee, daß die Afrikaner sich auf ihre eigenen Kräfte zum Aufbau ihrer Nationen und Gesellschaften besinnen sollten,
anstatt im Westen um Almosen betteln zu müssen, für richtig.
Der frühere Präsident von Burkina Faso, Thomas Sankara (1983-1987)
lehnte die übliche Entwicklungshilfe mit der Begründung ab, sie „entmündige“
die Afrikaner. Tatsächlich hatte seine Regierung auch ohne westliche Finanz-
spritzen beachtliche Erfolge vorzuweisen.
Versuche eines eigenständigen Entwicklungsweges hat es in Afrika immer
wieder gegeben. Der „Ujamaa-Sozialismus“ Julius Nyereres gehörte zum
Beispiel auch dazu.
Charakteristisch für die „Entwicklungsgesellschaft“ Nigers war, daß versucht
wurde, die wichtigsten Wirtschaftszweige, wie z:B. die Nahrungsmittel-
produktion aufzubauen, daß man dabei sehr pragmatisch und unideologisch
heranging und daß die Militärdiktatur immer noch genügend Raum für die
Basisaktivitäten der „Samariyas“ und der Entwicklungsräte ließ.
Niger versuchte in den 70iger Jahren seine nach wie vor extrem hohe
Analphabetenrate durch unkonventionelle Lehrmethoden wie den „Fernseh-
schulen“ und einer Experimentalschule, in der statt französisch einheimische
Sprachen unterrichtet wurden, zu senken. Leider blieben diese Modelle in
ihren Anfängen stecken, obwohl sie überdurchschnittlich gute Resultate
brachten. Dennoch ist es die Unterstützung bei derartigen Projekten, als das
bloße Gewähren von teuer zurückzuerstattenden Krediten und dem Abladen
überflüssiger Nahrung aus der EU, die Entwicklungspolitik ausmachen sollte.

Die Forderung, man solle den Entwicklungsländern lediglich eine „Hilfe zur
Selbsthilfe“ angedeihen lassen, ist heute in vielen Industrienationen populär.
Gleichzeitig wird eine Politik betrieben, die dem völlig entgegengesetzt ist.
So werden z.B. von westlichen Konzernen Rohstoffe in Afrika abgebaut, in
den wenigsten Fällen wird aber versucht, die Afrikaner ernsthaft am Gewinn
zu beteiligen oder so auszubilden, daß sie eigene Technologien zur Rohstoff-
förderung oder –verarbeitung beherrschen und entwickeln können. Dadurch
würde man sich ja nur unnötige Konkurrenz heranzüchten.
Der Slogan des einstigen US-Präsidenten Bill Clinton „Handel statt Hilfe“
ist völlig sinnlos, da Afrikas Probleme hauptsächlich strukturelle Probleme
sind, die man nicht mit Warenaustausch lösen kann. Zumal viele Probleme
hausgemacht sind: Aberglaube, Stammesrivalitäten (Tribalismus) und der
unter afrikanischen Politikern weitverbreitete Glaube, den Staat wie den eigenen Privatbesitz verwalten zu können sind nur einige davon. Dort wo
aufgeklärte und wohlwollende Despoten wie Kenneth Kaunda (Sambia)
und Julius Nyerere (Tansania) den Staaten ihren Stempel aufgedrückt haben,
findet man heute wenigstens starke Zivilgesellschaften und kaum ethnische
Konflikte.
Auch die Flüchtlingspolitik der westlichen Industrienationen ist aus drei Gründen verantwortungslos.
1.) Durch die massenhafte Aufnahme von vor allem afrikanischen Armuts-
und Wirtschaftsflüchtlingen durch Europa werden die Probleme für die Entwicklungsländer nicht annähernd gelöst. Es wird Geld für die Eingliederung der Flüchtlinge ausgegeben, daß investiert werden könnte, um die strukturellen Probleme Afrikas zu beseitigen.
2.) Da die Industriestaaten oft selbst mit hohen Arbeitslosenzahlen geplagt sind, fühlen sich die von immer knapper ausfallender staatlicher Unterstützung abhängigen Einheimischen in eine direkte Konkurrenzsituation mit den aufgenommenen Flüchtlingen gedrängt. Der soziale Frieden wird gefährdet.
3.) Da es sich bei den Flüchtlingen oftmals auch um qualifizierte Fachkräfte
handelt (Ärzte, Ingenieure etc.), die in ihren Heimatländern oft dringend gebraucht werden, wird ein Ausbluten der afrikanischen Staaten und eine Verringerung des Potentials zur Selbsthilfe noch weiter gefördert.

Ziel deutscher und europäischer Entwicklungshilfe muß es sein, die Lebens-
situation in den Entwicklungsländern zu verbessern, nicht die in den eigenen
Ländern zu verkomplizieren.

Ein weiterer Grund für die Rückständigkeit Afrikas ist auch die Politik des
Weltwährungsfonds und der Weltbank. Sie gewährten den armen Staaten
Kredite, die sie (inkl. Zinsen) niemals zurückzahlen können.
So zahlte Sambia im Jahr 1998 202 Millionen US-Dollar allein zur Tilgung
der Schulden. Dies ist laut Ex-Präsident Kaunda viermal mehr, als seit der
Unabhängigkeit 1964 für Gesundheitsfürsorge ausgegeben werden konnte.
Wie soll sich unter diesen Bedingungen jemals ein moderner, funktionierender
Staat entwickeln können?

Die Probleme sind in allen schwarzafrikanischen Staaten ähnlich. Wenn
man an der Situation der unterentwickelten Staaten etwas ändern will, muß
in der Politik radikal umgedacht werden – sowohl in der westlichen, als
auch in der afrikanischen.
Neue und unkonventionelle Wege gilt es für ein besseres Afrika zu be-
schreiten. Die „Entwicklungsgesellschaft“ war da schon ein Schritt in die richtige Richtung. Solche Modelle gilt es auszubauen und weiterzuentwickeln!







Der Autor: Kay Hanisch

- Jahrgang 1978, Realschulabschluß 1995 und 1998 Berufsabschluß
als Fotograf

- seit 1998 Mitglied der bundesweiten Bürgerbewegung „STATT Partei -
DIE UNABHÄNGIGEN“, wo er sich vor allem mit außenpolitischen
Themen und mit Fragen zur Kooperation zwischen kleinen Parteien
beschäftigt

- seit 2005 schreibt er als Freier Mitarbeiter für die Liberale Stimme Online
mit Schwerpunkt auf Politik in Entwicklungs- und Schwellenländern bis zur Einstellung dieses Blogs

- 2006 Mitbegründer der „Allianz Demokratischer Parteien und Organisationen“

- 2008 Gründung des eigenen Internetpublikationsorgans „Welt im Blick“

















Zu beziehen über:
Kay Hanisch, Geyersbergstr. 29, 04720 Döbeln

© Hanisch 2005/2006