Darfur und kein Ende

Darfur - eine Kurzanalyse

Was passiert wirklich in Darfur, wie entstand der Konflikt und wie kann man ihn lösen? Eine (viel zu) kurze Betrachtung



8.9.2007. Fast jede Woche hören wir, in der sudanesischen Provinz Darfur gehe ein Völkermord vor sich, das Wort „Genozid“ fällt und Hilfsorganisationen sprechen von der derzeitig größten humanitären Katastrophe.
Wir können den Medien entnehmen, dass in Darfur arabisch-stämmige Reitermilizen, sogenannte Djanjawid ( was soviel wie „Geisterreiter“ bedeutet) die zumeist schwarzafrikanischen Bauern ermorden oder vertreiben und ihre Dörfer niederbrennen. Die Medien machen es sich einfach und erklären, hierbei handele es sich um einen Konflikt um Land und Trinkwasser zwischen arabisch-stämmigen nomadisierenden Viehzüchtern und schwarzafrikanischen sesshaften Bauern. Doch diese Erklärung stimmt nur zur Hälfte.
Der Konflikt ist extrem kompliziert. Um zu verstehen, was heute in Darfur passiert, müssen wir erst einmal einen Blick in die Vergangenheit werfen:

In Darfur lebten schon immer unterschiedliche muslimische Stämme von Schwarzafrikanern und Arabern zusammen. Bis 1874 war Darfur ein unabhängiges Sultanat, es geriet unter britische Kolonialherrschaft und wurde im Zuge der Entkolonialisierung 1956 ein Teil des Retortenstaates Sudan.
Die Elite des unabhängigen Sudans bestand aus sogenannten muslimischen „Flussarabern“, d.h. hellhäutigen Bewohner der Nilregion und der Hauptstadt Khartum. Schon damals galten die ebenfalls von Muslimen bewohnte Provinz Darfur und der vorwiegend von schwarzafrikanischen Christen und Animisten besiedelte Südsudan als lästige Peripherie und wurden in Fragen der wirtschaftlichen Entwicklung, dem Aufbau einer modernen Verwaltung und der politischen Mitsprache extrem vernachlässigt.



Die Rolle Libyens

Der libysche Revolutionsführer Muammar al-Ghaddafi entwickelte sich zu einer der Schlüsselfiguren im Darfurkonflikt.
Die Bevölkerung Darfurs besteht aus hellhäutigen Arabern und schwarzafrikanischen Muslimen. Im Rahmen seiner damaligen panarabischen Ideologie, welche die Araber als „überlegene Rasse“ herausstellt, unterstützt Ghaddafi die „Arabische Union“ in Darfur, eine militante, panarabische Gruppe, die erst den Tschad und dann den Sudan unter arabische Vorherrschaft bringen will. Der von 1969-85 regierende sudanesische Präsident Jaafar Mohammed el Numeiri betreibt eine Schaukelpolitik zwischen Ost und West, doch wendet er sich in letzter Zeit verstärkt dem Westen zu, was das Misstrauen Ghaddafis erregt: der „Verräter“ Numeiri muß weg!

Die Verbindung zum Tschad

Der Darfurkonklikt ist eng mit dem Bürgerkrieg im benachbarten Tschad verzahnt und eine alleinige Lösung eines der Konflikte wohl unmöglich. Wie auch im Sudan leben im Tschad im Norden Muslime und im Süden schwarze Christen. Der seit 1960 regierende pro-französische Diktator Francois Tombalbaye ist ein Christ aus dem Süden. Schrittweise verdrängt er die Muslime aus der Verwaltung und besetzt alle einflussreichen Posten im Staat mit Angehörigen seines Sara-Volkes. Schließlich werden sogar Rituale der Sara als allgemeingültig erklärt. Dagegen formiert sich mit der Rebellenbewegung FROLINAT der Widerstand der Muslime.
Doch die FROLINAT ist zerstritten, ihre Kriegsherren rivalisieren miteinander. Einer ihrer einflussreichsten Führer ist der Muslim Hissen Habré.
Da diese Gruppe für die „arabische Sache“ kämpft, erhält sie Unterstützung sowohl von Libyen als auch vom Sudan, wo sie in Darfur ihre rückwärtigen Stützpunkte anlegt. Besonders Habrés Fraktion, der „Nordarmee“ FAN, greift der Sudan unter die Arme, da Habré ein erklärter Ghaddafi-Gegner ist und Libyens Revolutionsführer fleißig gegen die sudanesische Regierung intrigiert. 1982 kommt Habré im Tschad an die Macht, die mit ihm rivalisierenden FROLINAT-Führer ziehen sich nach Darfur zurück und unternehmen mit libyscher Hilfe Feldzüge in den Tschad.

Der Konflikt beginnt in den 80iger Jahren

1986 wird Sadik al-Mahdi, Führer der Umma-Partei und ein Abkömmling eines legendären Aufstandsführers gegen die britische Kolonialherrschaft zum sudanesischen Regierungschef gewählt. Seine Politik dient hauptsächlich der Sicherung seiner Macht und ist im Endeffekt als ziemlich konfus zu bezeichnen. Auf dem Weg zur Macht wird er von Libyens Revolutionsführer Muammar al-Ghaddafi unterstützt, dem al-Mahdi für diese Hilfe versprochen hat, Darfur an Libyen abzutreten. Einmal im Amt, vergisst der sudanesische Premier schnell das unpopuläre Versprechen. Tausende libysche Soldaten haben inzwischen die Provinz besetzt und bilden internationale Araberbrigaden aus und Habrés Armee – unterstützt von Frankreich und konservativen Golfstaaten - unternimmt Vorstöße nach Darfur, um die tschadischen Rebellen zu bekämpfen, die sich dorthin zurückgezogen haben. Die Bevölkerung Darfurs leidet also unter der libyschen Besetzung und dem tschadischen Bürgerkrieg. Hinzu kommt noch, dass die Regierung al-Mahdi nichts unternimmt, um die Provinz zu befrieden oder die ausländischen Truppen zu vertreiben. Im Gegenteil, sie schürt den Rassismus zwischen Arabern und Schwarzen, eine Dürre und eine darauffolgende Hungersnot verschärfen die Situation zusätzlich. Die rassistische Saat, die Mitte der 80iger Jahre gelegt wurde, ist eine der Hauptwurzeln für den Fanatismus, mit dem der Bürgerkrieg in Darfur heute geführt wird. Im Süden des Sudan rebellierten bereits die christlichen Schwarzafrikaner gegen die muslimische Zentralregierung und man fürchtete in Khartum eine Allianz der „Schwarzen des Südens“ mit denen in der benachteiligten Westprovinz Darfur.
Der Bürgerkrieg des Tschad schwappte zusätzlich immer mehr in den Sudan über und machte auch Darfur zum Kriegsgebiet. Auch die neue, 1989 per Putsch an die Macht gekommene Regierung Sudans des heutigen Präsidenten Omar al-Bashir war durch die widersprüchlichen Interessen Khartums, Frankreichs, den Ansprüchen von Ghadaffi und von Habré nicht willens oder in der Lage, den Konflikt in Darfur vom Konflikt im Tschad zu trennen. Dies änderte sich erst 1990 mit der Machtübernahme von Idriss Déby im Tschad.

Die Winkelzüge des Idriss Déby

Déby war einst Sicherheitsberater von Präsident Hissen Habré, fiel nach seiner angeblichen Beteiligung an einem Putschversuch aber in Ungnade und musste fliehen. Er schaffte es in kurzer Zeit, eine Rebellenarmee aufzubauen und sich der Unterstützung Libyens und des Sudans, gleichzeitig aber auch Frankreichs und der USA zu versichern. In einem kurzen Bürgerkrieg vertrieb der ehemalige Kampfpilot Déby, der einen Ruf als ausgezeichneter Stratege genoß, den Diktator Habré von der Macht. Er ließ Oppositionsparteien zu, band Rebellengruppen in den politischen Prozeß ein und legte den Grundstein für das Entstehen einer freien Presse und einer Zivilgesellschaft, die ihm heute auf der Nase herumtanzt. Doch bald zeigte sich, dass Débys „Demokratie“ nur eine „weiche Diktatur“ war, der tschadische Präsident konnte genauso wenig wie all seine Vorgänger von der Macht lassen. Mit taktischen Spielchen und Manipulationen hielt er sich seither im Amt, die letzten Wahlen galten weder als frei noch als fair. Seine wechselhafte Politik zwischen Tripolis und Paris, zwischen Khartum und Washington, die versuchte, allen Interessen Rechnung zu tragen, bescherte dem Tschad fast 10 Jahre eine relative Stabilität, wurde aber später immer mehr zum Drahtseilakt ohne Netz und doppelten Boden. Zum Schluß brachte Déby alle seine Verbündeten gegen sich auf, inklusive des eigenen Clans und des Minderheitenvolkes der Zaghawa, dem er selbst angehört. Denn auch die Zaghawa gehören wie die Fur und die Masalit zu den rebellierenden schwarzafrikanischen Völkern in Darfur. Déby hatte erkannt, dass mit dem Regime im Sudan nicht gut Kirschen essen ist und beschränkte seine Aktivitäten zunächst auf Vermittlungsversuche in der Krisenprovinz. Dies führte zum Putschversuch hochrangiger Zaghawa-Militärs gegen seine Regierung und erschütterte die Stabilität seines Regimes. Immer mehr Zaghawa forderten, den Blutsbrüdern im Sudan beizustehen. So war Déby „eingeklemmt“ zwischen dem mächtigen Nachbarn Sudan und den pro-sudanesischen Rebellen im Tschad einerseits und der Rebellion aus dem eigenen Lager, die ebenfalls den bewaffneten Kampf aufgenommen hatte. Dies erklärt auch das widersprüchliche Verhalten Débys, sowohl mit dem Sudan einen Pakt über gegenseitige Nichtunterstützung von Rebellengruppen zu unterzeichnen, als auch die Rebellen in Darfur aufzurüsten und sie sogar zur Unterstützung seiner Truppen im Tschad einzusetzen.

Die Gewalt in Darfur hat mehr als 2 Mio. Flüchtlinge und über 200.000 Tote gefordert, den sudanesischen Bürgerkrieg in die Nachbarländer Tschad und Zentralafrikanische Republik (ZAR) exportiert, dort ebenfalls Gewalt und Flüchtlingsströme ausgelöst und den Rassismus in der Region weiter angeheizt.

Bliebe noch die Frage, warum die sudanesische Regierung die Djanjawid-Milizen unterstützt und ausrüstet, warum sie auf Spaltung des sudanesischen Volkes, statt auf Versöhnung und Integration setzt? Dies ist damit zu beantworten, dass der Rassismus auch ein wesentlicher Bestandteil des Regimes ist. Würde Khartum die benachteiligten Schwarzafrikaner zu gleichen Teilen in die Führung des Landes einbinden, würde dies zum Verlust der Privilegien der „Flussaraber“ führen, welche die derzeitige Elite darstellen. Der Diktator Bashir wäre vielleicht sogar durch Putschisten aus dem eigenen Lager bedroht, würde er diesen Versuch unternehmen.
Die „Politik der verbrannten Erde“ (d.h. Vertreibungen, Morde, Plünderungen und das Niederbrennen der schwarzafrikanischen Siedlungen in Darfur) folgt der fatalen Logik der Guerillastrategie von Mao Zedong: nämlich, dass sich die Rebellen unter der Bevölkerung „wie Fische im Wasser bewegen“ sollen, sich also unters Volk mischen. Das Regime Bashirs schloß daraus: wo kein Wasser ist, können auch keine Fische sein. Was soviel bedeutet wie: sind alle Dörfer zerstört und ist die Bevölkerung ins Ausland oder in die Lager bei den großen Städten geflohen, die von Polizei und Geheimdienst kontrolliert werden können, dann gibt es für die Rebellen auch keine Möglichkeiten sich unter den Zivilisten zu verstecken. Diese Strategie können wir in Darfur beobachten und dies erklärt auch die Unterstützung der Regierung für die Djanjawid, die einmal allein, einmal im Verbund mit Regierungstruppen für Khartum die Drecksarbeit erledigen.

Welche Schritte zur Lösung des Konfliktes gibt es?

1.) Wichtigster Grundsatz: alle beteiligten Parteien aus Sudan, Tschad und ZAR müssen ihr Gesicht wahren dürfen.

2.) Der Konflikt in der ZAR ist nicht so sehr mit dem Bürgerkrieg im Sudan verflochten. Dieser Konflikt ist als erstes herauszulösen. Der Sudan unterstützt die Rebellen in der ZAR, da deren Staatspräsident Francois Bozize ein Verbündeter von Idriss Déby ist und 2003 mit Waffenhilfe des tschadischen Präsidenten an die Macht kam, inzwischen wurde er in Wahlen im Amt bestätigt. Khartum müsste sich verpflichten den Rebellen in der ZAR keine Hilfe mehr zu gewährleisten, an der gemeinsamen Grenze sollte auf beiden Seiten eine entmilitarisierte Zone entstehen, die von der Afrikanischen Union (AU) überwacht wird. Die ZAR und Sudan normalisieren ihre Beziehungen, dies muß im Einvernehmen mit dem Tschad geschehen.

3.) Idriss Déby muß seine Herrschaft stabilisieren, die von einer bunt gescheckten zivilen und militärischen Opposition in Frage gestellt wird. Dies ist mit dem Abkommen mit einem großen Oppositionsbündnis über eine weitere Demokratisierung und transparente Wählerregister bereits z.T. geschehen. In einer echten Demokratisierung des Tschad scheint fürs erste der Schlüssel zur Befriedung des Landes zu liegen.

4.) Die EU-Truppe, welche die tschadischen Flüchtlingslager vor Djanjawid-Milizen beschützen soll, ist zu begrüßen. Sie muß aber auch unterbinden, dass sudanesische Djanjawid und tschadische Rebellen die Grenze nach Darfur überschreiten. Dies ist derzeit nicht der Fall, denn Déby braucht die durchlässige Grenze, um die Darfur-Rebellen zu unterstützen. Ist die Grenze dicht, ist es schwieriger für Khartum und N´Djamena schwieriger, der Rebellion im jeweils anderen Land zu helfen. Das bereits geschlossene Abkommen zwischen Déby und Bashir zur gegenseitigen Nicht-Einmischung könnte greifen.

5.) Libyen, das über seinen Geheimdienst Kontakt zu nahezu jeder Rebellengruppe in der Region hat, muß stärker als Vermittler eingebunden werden. Zumal Libyens Revolutionsführer Ghaddafi sich von der panarabischen Idee abgewannt hat und heute zu den Propagandisten des Panafrikanismus zählt.

6.) Entscheidend ist letztendlich, wie die sudanesische Regierung mit den Forderungen der Rebellen umgeht und wieviel Macht sie bereit ist abzugeben. Auch eine Demokratisierung im Sudan würde vieles lösen. Doch sie ist derzeit unwahrscheinlicher als im Tschad. Eine Autonomie für Darfur ist wohl unumgänglich. Einer Forderung wie aus dem Südsudan, nämlich nach einigen Jahren Autonomie ein Unabhängigkeitsreferendum durchzuführen, kann die Regierung wohl nicht zustimmen.
Denn dies würde das Ende des Staates Sudan bedeuten.





Kay Hanisch