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| Chaos im Kongo |
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Wo die Unregierbarkeit zu Hause ist
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2.10.2005. Kaum hat sich eine „Allparteienregierung“ der wichtigsten Rebellengruppen und der Regierung unter dem Präsidenten Joseph Kabila, der dieses Amt von seinem Vater 2001 geerbt hat, zusammengefunden und es werden positive Nachrichten in Bezug auf die Vorbereitung der Wahlen Ende 2005 vermeldet, da gärt es schon wieder im rebellischen Osten des Landes: der vermutlich von Ruanda finanzierte Tutsi-General Laurent Nkunda, der durch einige besonders grausame Massaker an der Zivilbevölkerung zu traurigem Ruhm kam, ruft zum Marsch auf die Hauptstadt Kinshasa auf, um die seiner Meinung nach „korrupte“ Regierung zu stürzen. Derweil sind Teile der Regierungsarmee im Ostkongo zu den Rebellen übergelaufen, nachdem sie vorsorglich ihre loyalen Kameraden entwaffnet hatten. Andere Teile der Armee ziehen plündernd durch das Land. Auf sie kann die Regierung auch nicht setzen.
Der Kongo ist reich an Bodenschätzen. Gold, Kupfer, Edelsteine und Coltanerz, welches für Handychips benötigt wird, hätten das Land zu einem wohlhabenden afrikanischen Staat machen können. Doch sind alle Probleme hausgemacht? Immer wieder waren die Bodenschätze Grund für das Eingreifen fremder Mächte. Schon der linke Unabhängigkeitspremier Patrice Lumumba war damit gescheitert, den Kongo zu einem einheitlichen Nationalstaat zu formen. Wenige Monate nach seiner Amtsübernahme 1960 wurde er auf Betreiben des US-Günstlings und Armeechefs Mobutu und des von Belgien unterstützten Separatistenführers Moise Tschombé aus der Kupferprovinz Katanga umgebracht.
Der behäbige Staatspräsident Joseph Kasavubu blieb nur bis 1965 im Amt, weil er sich aus der Politik weitgehend heraushielt und jeden Konflikt scheute. In seiner Hilflosigkeit ernannte er 1963 sogar Moise Tschombé zum Premierminister. Die nachfolgende 32-jährige nicht sonderlich brutale, aber maßlos korrupte Diktatur des Marschalls Mobutu Sese Seko mutet unter den heutigen Verhältnissen wie eine „goldene Ära“ an. Mobutu bemerkte einmal, er wolle „nicht katholischer als der Papst sein“. Das äußerte sich (trotz US-Protektion) in der Verstaatlichung der belgischen Minen, in einer Kampagne der Afrikanisierung (aus Kongo wurde Zaire, aus der Hauptstadt Leopoldville wurde Kinshasa) und in dem Ausbau der Beziehungen zu China. Zu guter Letzt erklärte Mobutu sein Opfer Lumumba zum Nationalhelden. Die Instrumente zur Sicherung seiner Macht waren neben der Einheitspartei MPR, in der jeder Bürger automatisch bei Geburt (!) Mitglied wurde, das Militär und vor allem die viel effizienteren ausländischen Söldnertruppen, die im Auftrag des Regimes alle Erhebungen niederschlugen. Die Verwaltung funktionierte wie „geschmiert“, denn die Korruption war allgegenwärtig. Er habe seinem Land alles gegeben, also dürfe er sich auch alles nehmen, verkündete einstmals der Präsident (zeitweiliges Vermögen mind. 5 Mrd. US-Dollar ). Mobutu gehörte einem winzigen unbedeutenden Stamm an, war also außen vor bei den Rivalitäten der großen Ethnien. Das Land verlotterte immer mehr, die persönliche Bereicherung des einzelnen schien die Staatsdoktrin zu sein. Aufmüpfige Günstlinge disziplinierte der Präsident mit Luxusentzug, eine zivile Opposition, die sich in den 90iger Jahren bilden konnte wurde durch die von Mobutu betriebene Gründung weiterer Oppositionsparteien auf ca. 400 Parteien zersplittert. Der Westen wünschte sich nun einen Neuanfang, die USA ließen Mobutu fallen und setzten auf den ehemals marxistischen Lumumba-Anhänger Laurent-Desiree Kabila. Gegen dessen von den USA, Ruanda und Uganda aufgerüstete Truppen hatte die marode Mobutu-Armee keine Chance. Die Unterstützung von der angolanischen Rebellenarmee UNITA kam für den alten Marschall zu spät.
Der neue Präsident Kabila entpuppte sich als noch mörderischer und als ebenso korrupt wie Mobutu. Bald überwarf er sich mit seinen Tutsi-Verbündeten aus Ruanda. Diese zogen sich wieder in den Osten des Landes zurück und zettelten Rebellionen gegen die Zentralregierung in Kinshasa an. Als zur Unterstützung dieses Aufstandes reguläre Truppen aus Uganda und Ruanda (mit US-Billigung) in den Kongo einfielen, rief Kabila Truppen aus Angola, Simbabwe und zeitweilig auch aus Namibia und dem Tschad zu Hilfe. Die USA hatten bewußt auf Kabila gesetzt und nicht auf den relativ angesehenen Führer der zivilen Opposition unter Mobutu, Etienne Tshisekedi. Der greise Vorsitzende der Union für Demokratie und Sozialen Fortschritt (UDPS) war Anfang der 90er Jahre kurzzeitig Regierungschefs einer oppositonellen Regierung, deren Reformbemühungen von Mobutu unterlaufen wurden. Diese Ereignisse, das Scheitern der Regierungen von Lumumba, Tschombé und von Mobutus erstem Technokratenkabinett brachte die USA wohl zu der Einsicht, daß ein Demokrat nicht für den brodelnden und zerrissenen Kongo taugt, sondern nur ein „big man“, ein Häuptlingspatriarch, dieses Problem meistern kann. Doch Kabila erwies nicht als US-Marionette, sondern verfolgte seine eigene Politik. Sein diktatorischer Regierungsstil und seine Beratungsresistenz verschärften die Lage im Land. Es dauerte nicht lange, da wurde er von einem Leibwächter ermordet. Sein Adoptivsohn Joseph, ein ethnischer Tutsi, wurde vom Militär ins Amt gehievt. Obwohl sich der zunächst vom Ausland belächelte Kabila jr. weitaus geschickter anstellte als sein Vater, gelang auch ihm – trotz des Abkommens mit den größten Rebellenbewegungen – keine Befriedung des Landes.
Einige unbequeme Fragen muß man sich schon stellen. Wenn also eine Demokratie im westlichen Stil nur schwer auf Afrika und ganz besonders auf die Demokratische Republik Kongo (DRK) übertragbar ist – so die Einschätzung auch von Peter Scholl-Latour, welche Form der Herrschaft taugt dann für den Kongo? Eine weise Autokratie wie im Nachbarland Sambia unter dem Friedensfreund Kenneth Kaunda? Eine rigide Militärdiktatur wie unter dem unbestechlichen Asketen Seyni Kountché in Niger?
Oder war am Ende, das korrupte Regime von „le guide“, dem Führer Mobutu, die einzige Möglichkeit diesen Vielvölkerstaat irgendwie mehr schlecht als recht zusammenzuhalten? Und hätte nicht eine Demokratie größere Chancen, wenn die im Kongo engagierten Staaten sich wirklich um das Land und die Bevölkerung kümmern würden, statt nur raffgierig nach den Bodenschätzen zu schielen? Um ihre Intervention auf Seiten von Kabila sr. zu bezahlen, wurde den Truppen aus Simbabwe und Angola Gelder und Rechte bei der Ausbeutung von Diamantenminen zugesichert. Zumindest diese beiden Länder haben ein Interesse daran, das eine Regierung in Kinshasa noch lange auf sie angewiesen ist. Die USA, die sich mit Ruanda und Uganda zwei neue Vasallen in Afrika herangezüchtet haben, betreiben die Ablösung der alten Hegemonialmacht in Afrika - Frankreich! Viele Konflikte in Afrika sind bei genauerem Hinsehen, Konflikte zwischen Frankreich und den USA, Stellvertreterkriege also! Als Marc Ravalomanana in Madaskar 2002 den ehemaligen sozialistischen und von Frankreich unterstützten Militärherrscher Didier Ratsiraka, der 1997 wieder auf demokratische Weise ins Amt zurückgewählt wurde, durch Straßenproteste stürzte. Oder als in der „kleinen“ Republik Kongo, dem Nachbarstaat der DRK der us-unterstützte und demokratisch gewählte Präsident Pascal Lissouba vom ehemaligen Militärherrscher Denis Sassou-Nguesso gestürzt wurde. Während die Milizen des Präsidenten von einem US-Ölkonzern finanziell unterstützt wurden, bekam der ehemalige Präsident Hilfe von einem französischen Ölunternehmen und dem Nachbarland Gabun. Dessen Präsident Omar Bongo ist mit Sassou-Nguesso verwandt und gilt als treuester Gefolgsmann Frankreichs in Afrika. Und wurde Mobutu nicht noch bis zum Schluß von Frankreich unterstützt, als die USA ihn schon längst fallengelassen hatten? Über von Ruanda und Uganda unterstützte Rebellenbewegungen oder gar reguläre Truppen beider Staaten versuchen die USA nun Zugriff auf die Bodenschätze zu bekommen. Kabila sr. hatte das Spiel durchschaut, doch er war unvorsichtig und nahm das gleiche Ende wie sein früheres Idol Lumumba. Die Worte von Mobutu kurz vor seiner Flucht aus Zaire bekommen nun geradezu prophetischen Charakter: „Nach mir kommt das Chaos!“
Kay Hanisch
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