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| Gewalt in Osttimor |
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Musterland im freien Fall?
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Juni 2006. Nur vier Jahre nach dem die ehemalige portugiesische Kolonie Timor-Leste (Osttimor) aus der indonesischen Besetzung so hoffnungsvoll in die Unabhängigkeit entlassen wurde, droht dem kleinen Inselstaat nun Chaos und Anarchie nach dem Vorbild der unweit gelegenen Salomonen. Dabei hatte die Unabhängigkeit Osttimors so gut begonnen. Freie demokratische Wahlen unter UN-Aufsicht hatten die linke Befreiungsbewegung Fretilin als stärkste politische Kraft bestätigt, mit Xanana Gusmao kam ein äußerst populärer Führer des militärischen Kampfes gegen die brutale indonesische Besatzung ins Präsidentenamt. Der parteilose Außenminister José Ramos-Horta, der dieses Amt schon während der 14-tägigen Unabhängigkeit 1975 inne hatte, ist Träger des Friedensnobelpreises, genießt das Vertauen der internationalen Staatengemeinschaft und war zeitweilig als neuer UN-Generalsekretär im Gespräch. Gute Voraussetzungen für den Aufbau einer funktionierenden Demokratie also. Doch nun beobachten wir einen spektakulären Absturz. Die Ursache für die Schießereien zwischen Regierungstruppen, desertierten Soldaten und kriminellen Banden, die seit ihrem Ausbruch vor einigen Wochen über 30 Tote gefordert hatten, werden zum Teil auch dem Premierminister Mari Alkatiri angelastet. Auslöser des Aufruhrs war die Entlassung von ca. 600 Soldaten aus der nur 1.500 Mann starken Armee, die aus Protest gegen die Diskriminierung und die Lebensbedingungen in den Kasernen in Streik getreten waren. Sie forderten u.a. den Rücktritt Alkatiris, der die Proteste ignoriert hatte und für die daraufhin folgende Entlassung der Soldaten verantwortlich war. Der Konflikt besitzt auch ethnische Dimensionen. Die Bewohner des Ostens gehören einem anderen Volk an als die des Westens. Während die Ostler im wesentlichen den Befreiungskampf trugen, kooperierten die Westler mit den indonesischen Besatzern. Viele der heutigen Rebellen kommen aus dem Westen des Landes.
Präsident Gusmao genießt in der Bevölkerung sowie bei den Aufständischen nach wie vor hohes Ansehen und schaltete sich nun mit einem Aufruf zur Belegung der Krise direkt ein. Der ehemalige Befreiungskämpfer, den ein schweres Rückenleiden plagt, ließ sich Sondervollmachten einräumen. Doch auch die Autorität des sonst eher mit repräsentativen Aufgaben betrauten Präsidenten schwindet immer mehr. Premierminister Alkatiri wehrt sich gegen seine „Entmachtung“ durch Gusmao. Da er auch Generalsekretär der Fretilin ist, konnte er auch glaubhaft damit drohen, zehntausend Anhänger zu mobilisieren.
Außenminister Ramos-Horta, rief 2.300 ausländische Soldaten, vor allem aus Australien und Neuseeland, in die Inselrepublik. Ob diesen Truppen nun die Stabilisierung gelingt, wird sich zeigen. Auch die ehemalige Kolonialmacht Portugal plant die Entsendung von Polizeieinheiten. Für die Souveränität der armen Inselrepublik ist die Entsendung der vor allem aus australischen Kräften bestehen Schutztruppe nicht hilfreich. Denn mit dem übermächtigen Nachbarn gibt es seit Jahren Streit um ein Gebiet, in dem Ölreserven vermutet werden und das Australien beansprucht, obwohl es in den Hoheitsgewässern Osttimors liegt. Gelingt es Australien nun, das Land wesentlich zu befrieden, wird man in Canberra entsprechende „Dankbarkeit“ aus Osttimors Hauptstadt Dili erwarten. Diese könnte sich im Abtreten des umstrittenen Gebiets an Australien äußern. Schon heute bestreitet australische Hilfe einen großen Teil des Haushalts der winzigen Republik.
Immer mehr Pazifikstaaten steuern in ähnliche anarchistische oder chaotische Konflikte. Vor wenigen Wochen stürzte ein Aufstand, den erst fünf Tage amtierenden Premierminister der Salomonen, Snyder Rini. Vor nicht all zu langer Zeit gab es auf Fidschi Unruhen, die von den Milizen des Geschäftsmannes George Speight angezettelt wurden. Die Proteste gegen die korrupte Monarchie in Tonga nehmen zu, seit Jahren gibt es Kämpfe mit Separatisten in Papua-Neuguinea. Eine Oase des Friedens scheint dagegen die ehemalige deutsche Kolonie Samoa zu sein, in der es zwar ein Mehrparteiensystem gibt, daß aber den Gesetzmäßigkeiten einer traditionellen samoanischen Häuptlingsaristokratie unterliegt, die Konflikte im dörflichen Palaver ausräumt. Diese Idylle hat sich das erstarrte System aber mit einer der weltweit höchsten Jugendselbstmordraten erkauft.
Kay Hanisch
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