Laurent Nkunda

Hoffnungsträger oder Kriegsverbrecher?

Seit Monaten geistert der Name des kongolesischen Rebellenführers Laurent Nkunda durch die Weltpresse. Nun wurde er in Ruanda verhaftet. Für seine Anhänger bedeutete er die Rettung des Kongos aus Krieg und Chaos. Seine Feinde werfen ihm Menschenrechtsverletzungen vor.
Wer ist der Mann, der der zahlenmäßig überlegenen Regierungsarmee eine Niederlage nach der anderen beibrachte und die UNO-Truppen zum Narren hielt? Wurde der mögliche Hoffnungsträger Opfer einer internationalen Intrige?

Er ist groß und sehr dünn, seine Statur weist ihn eindeutig als Angehörigen des Volkes der Tutsi aus, folgt man gängigen Klischees. Wenn er redet, sind seine Augen immer in Bewegung, wie einst bei Patrice Lumumba, dem kongolesischen Unabhängigkeitshelden. Dies fanden westliche Berichterstatter wie Peter Scholl-Latour schon damals während der ersten Kongo-Krise unheimlich.

Der heute 41-jährige Laurent Nkunda hat in Ruanda Psychologie studiert und weiß mit den Medien umzugehen. Obwohl er selbst Kongolese ist, kämpfte er seit 1993 in der tutsi-dominierten Ruandischen Patriotischen Front RPF, die 1994 die Macht in Kongos winzigem Nachbarland Ruanda übernahm und den Völkermord der marodierenden Hutu-Milizen der Interahamwe an der Tutsi-Minderheit und an gemäßigten Hutus beendete. Der RPF-Führer Paul Kagame stieg damals zum mächtigsten Mann Ruandas auf, heute ist er Präsident.

Nkunda kehrte in den Kongo (damals noch Zaire) zurück und kämpfte an der Seite des ehemals linken, von Ruanda und Uganda unterstützten Rebellenführers Laurent-Dèsirè Kabila gegen das marode Regime des zairischen Diktators Mobutu Sese Seko.
Nach der Machtübernahme Kabilas in Kinshasa diente Laurent Nkunda kurzzeitig als Offizier in der kongolesischen Armee, schloß sich aber 1998 als Major der Kongolesischen Sammlungsbewegung für die Demokratie (RCD) an.
2003 kam es zum Friedensschluß zwischen der Regierung und der RCD und Nkunda, nunmehr im Range eines Generals, und seine Kämpfer wurden in die kongolesische Regierungsarmee integriert.

Doch kurz darauf zog er sich wieder in den Busch zurück und seine Leute griffen wieder zu den Waffen. Warum?
Laurent Nkunda sieht sich als Schutzherr der Banyamulenge, der kongolesischen Tutsi. Seine derzeitige Rebellenbewegung trägt nicht umsonst den Namen Nationalkongreß zur Verteidigung des Volkes (CNDP).
Die Tutsi des Kongos sehen sich immer noch bedroht von den, nach 1994 aus Ruanda geflohenen, Mord-Milizien der ruandischen Hutu-Extremisten, die für den Genozid verantwortlich waren und auf der Flucht vor der jetzigen ruandischen Tutsi-Regierung Paul Kagames in den schwer zu kontrollierenden Kongo flüchteten, wo sie noch heute bewaffnet duch die Kivu-Provinzen irrlichtern. Diese Hutu-Milizen haben sich unter dem Namen Demokratische Kräfte der Befreiung von Ruanda (FDLR) zusammengeschlossen und halten ca. 6.000 Mann unter Waffen. Die FDLR verfügt neben ihrer Militärtruppe auch über einen politischen Flügel, der von dem in Deutschland lebenden Ignace Murwanashyaka geführt wird. Während der Militärflügel der FDLR den gewaltsamen Sturz der Kagame-Regierung in Ruanda propagiert, will der politische Flügel dies angeblich mit friedlichen Mitteln wie einem „Dialog“ mit der Regierung in Kigali erreichen.

Seine Gegner beschuldigen Nkunda, er vertrete nur die Interessen einer ethnischen Gruppe und nicht des ganzen Kongos. Zwar mag dies am Anfang auch zugetroffen haben, doch haben sich mittlerweile zahlreiche nationale Forderungen ins Programm der CNDP Eingang gefunden.
Politische Kreise und verschiedene Medien (z.B. die „Junge Welt“) in Deutschland und in Europa stellen den General als eine Marionette des Nachbarlandes Ruanda dar. Er würde für dieses Land die Stellung im Kongo halten, damit die Ausbeutung der Bodenschätze durch Ruanda reibungslos erfolgen könne. Überhaupt schieben ihm einige Zeitungs-Simpel gern die komplette Verantwortung für den immer noch flackernden Bürgerkrieg im Kongo in die Schuhe.
Doch dies greift zu kurz und ist zum Teil schlichtweg falsch. Zum einen gibt es kaum Bodenschätze in dem von den Rebellen kontrollierten Gebiet (ca. die Hälfte der Provinz Nord-Kivu), zum anderen haben alle im Bürgerkrieg beteiligten Parteien ihre Hände in Blut getaucht.
Menschenrechtler, aber auch seine politischen Gegner, werfen Nkundas Kämpfern Morde, Vergewaltigungen und Plünderungen vor. Doch inwieweit sind solche Vorwürfe in dem schwerzugänglichen Gebiet zu hundert Prozent zu überprüfen?
Der Afrikakorrespondent der TAZ, Dominic Johnson, der sich in der Region aufhält, bescheinigt den Rebellen eine wesentlich höhere Disziplin als den Regierungssoldaten und den mit ihnen verbündeten Milizen.
Zeitweise bis zu 20.000 Soldaten hatte die Regierung gegen die zuletzt auf 7.000 Mann angeschwollene CNDP im Einsatz und konnte doch keinen Sieg erringen. In wilder Panik flohen die Regierungssoldaten, die schlecht verpflegt und seit einem Jahr nicht mehr bezahlt wurden, schon, wenn das Gerücht auftauchte, daß Nkundas Kämpfer im Anmarsch seien. Auf ihren überstürzten Rückzügen vergewaltigten die Soldaten Frauen, plünderten die Vorräte der Bürger, walzten mit Panzern PKWs platt, die im Weg standen und beschlagnahmten Autos für ihre Flucht. Zivilisten, die sich weigerten, ihre Fahrzeuge zu überlassen, wurden einfach erschossen.
Insofern war der Einmarsch der Rebellen für manches Dorf schon fast eine Befreiung. Die Tutsi-Rebellen hielten sich bei Plünderungen sehr zurück.
Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung? Diese Anschuldigung weist Nkunda im Gespräch mit Journalisten zurück. „Ich kann nicht ausschließen, daß manchmal Zivilisten umkamen, vielleicht, weil sie ins Kreuzfeuer geraten.“ Aber die Ideologie der CNDP lehne jeden Angriff auf Zivilisten ab. Vergewaltigungen würden mit der Todesstrafe geahndet. Es gebe eine Ehrenkodex, der den Soldaten bekannt sei. Erst kürzlich mußte er drei Soldaten wegen eines solchen Vergehens erschießen lassen.

Zwar sind Bewaffnung und Uniformen der Rebellen ganz offensichtlich ruandischen Ursprungs, doch die Unterstützung des Nachbarlandes für die CNDP scheint sich seit einiger Zeit in Grenzen zu halten. Die Rebellen finanzieren sich über Zölle, die sie von allen erheben, die ihr Gebiet passieren und verlangen Gebühren, wenn Personen die berühmten Berggorillas besichtigen wollen. Auch scheint der CNDP eine Art Monopol beim Verkauf von Holzkohle zu besitzen, die von den Einheimischen zum Kochen benötigt wird. Laut der ZEIT (Nr.48/2008) stehen Nkunda außerdem „Zigarettenhersteller, Hotelbesitzer, Sicherheitsdienste und eine internationale Fangemeinde finanziell bei“.

Solange Nkunda den ruanda-treuen Soldaten gab, der sich um die Belange der kongolesischen Tutsi kümmerte und mit der Existenz der CNDP Druck auf die Regierung von Joseph Kabila ausübte, endlich gegen die Hutu-Milizen der FDLR vorzugehen, war er der Regierung Ruandas sehr genehm.
Doch Nkunda entdeckte zunehmend bessere Möglichkeiten. Die Regierungsarmee war ein maroder Kriegshaufen, die UNO-Truppen hilflos und selbst einige ihrer Soldaten in Menschenrechtsverletzungen verstrickt, der korrupte und am Schicksal des Kongo relativ uninteressierte Präsident Kabila beim Volk verhaßt. Nun hatte auch noch der greise Premierminister Antoine Gizenga, der mit seiner linken Partei PALU in Koalition mit Kabila regierte, offiziell aus „Altersgründen“ das Handtuch geworfen. Gizenga, der schon zur Unabhängigkeit 1960 kurzzeitig stellvertretender Premier war, galt als einer der wenigen ehrlichen und unbestechlichen Spitzenpolitiker des Landes.

Immer mehr Menschen sehnten sich nach einem politischen Neuanfang. Der CNDP bekam Zulauf. Nicht nur Tutsi, auch Angehörige anderer Ethnien und sogar Regierungssoldaten schlossen sich an. Nkunda war neben seiner Tarnuniform nun auch immer öfter in traditionellen afrikanischen Gewändern oder im Anzug zu sehen, um die zivile und politische Note seines Kampfes zu betonen. Er führte eine Art Häuptlingsstab bei sich, der zu den klaren Insignien der Macht gehört, trug schließlich auch Ex-Diktator Mobutu einen solchen.
Ein weißes Lämmchen als Haustier sollte den Friedenswillen des Oberrebellen betonen. Inzwischen wurden Friedensverhandlungen mit der Regierung in Kinshasa geführt. Nkunda verlangte aber, daß die Probleme des ganzen Kongo (u.a. das Problem der FDLR) und nicht nur der Konflikt zwischen CNDP und Regierung bei den Gesprächen debattiert werden, wogegen sich die Regierung sperrte. Internationale Aufwertung erfuhr Nkunda durch den Besuch des UN-Vermittlers Olusegun Obasanjo, der 1976-79 und 1999-2007 Staatspräsident von Nigeria war.

Immer häufiger wurden seine Auftritte vor der Bevölkerung in den von der CNDP kontrollierten Gebieten, wo er sich als Volkstribun aufführte.
Nicht mehr nur die Interessen der Tutsi standen im Vordergrund, nein, Nkunda verkündete jetzt, angestachelt von seinen Erfolgen, den ganzen Kongo befreien zu wollen. Einige verglichen ihn bereits mit dem Nationalheiligen Patrice Lumumba. Die UNO-Truppen seien „unfähig“ und könnten ihn jedenfalls nicht daran hindern, bis nach Kinshasa zu marschieren, wenn wollte, so der General. Was wäre das für ein Gesichtsverlust für die Weltorganisation!

Er träume, so erklärte Nkunda den ARD-Journalisten vom „Weltspiegel“, von einem Kongo ohne korrupte Regierung, der seine Bevölkerung an den Reichtümern des Landes teilhaben läßt und der unter seiner Führung sogar im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen sitzen würde.
In Nkundas Ansichten finden sich aus westlicher Sicht starke christliche und sozialistische Ziele. Auf seiner Jacke prangt oft ein Anstecker „Rebellen für Christus“. Doch Nkunda ist ein rational denkender Soldat, kein fundamentalistischer Wirrkopf wie Joseph Kony, der Führer der christlich-animistisch-fundamentalistischen „Widerstandsarmee des Herren“ (LRA) aus Uganda.
Nkunda führte weiter aus, daß die Regierung das Land an die Chinesen verkauft habe, die sich an den Bodenschätzen bereicherten und erklärte die Verträge mit einigen Investoren müßten im Interesse des Landes überprüft werden. Durch solche Aussagen, die bei vielen Kongolesen auf fruchtbaren Boden fielen, begann Nkunda sich als dauerhafter Störenfried und mächtiger Faktor in der kongolesischen Politik zu etablieren.
zu etablieren.

Hier begannen nun offensichtlich bei einigen die Alarmglocken zu schrillen. Eine starke Regierung in Kinshasa, welche der schrankenlosen Ausplünderung des Landes zumindest teilweise einen Riegel vorschiebt und dazu noch ziemlich selbstbewußt auftritt, kam den westlichen und chinesischen Investoren alles andere als gelegen. Doch nicht nur sie, auch die Regierung in Kigali/Ruanda hatte offenbar kein Interesse an einer Stärkung Nkundas. In der CNDP gab es eine Fraktion, die sich stärker an den Interessen Ruandas orientieren wollte und der Nkundas politische und militärische Pläne zu abgehoben waren.
Zudem stand außer Zweifel, daß Nkunda eine kongolesische Nationalarmee aufbauen wollte, die im Stande wäre, die Grenzen und die Integrität der Republik zu verteidigen. Er erklärte der ARD im Interview, er wolle dem Land eine starke Armee geben.

Es heißt, im Kongo schlage das Herz Afrikas. An einem Land mit 2,3 Mio. Quadratkilometern und über 60 Mio. Einwohnern, das geeint und selbstbewußt über immense Bodenschätze verfügt – wer hätte daran ein Interesse?

Der Westen und China nicht – sie müßten schlechtere Konditionen für ihren Zugriff auf Cobalt, Diamanten, Mangan, Zinn- und Zinkerze, Coltan, Uran, Kohle und Erdöl fürchten.

Ruanda mußte einen starken Nachbarn fürchten, der für den ruandischen Zugriff auf die Bodenschätze unruhigen Ostprovinzen ein schwieriger Partner wäre.

Die Hutu-Milizen der FDLR, die einen Staat im Staat errichtet hatten und von der Regierung Kabilas unterstützt wurden, mußten fürchten von Nkundas Truppen und der ruandischen Armee zerschlagen zu werden. Zudem beuteten sie ebenfalls wie Ruanda die kongolesischen Rohstoffen aus.

Nkunda war also allen lästig. Plötzlich ging alles sehr schnell.
Anfang Januar 2009 verkündete CNDP-Generalstabschef Bosco Ntaganda, man habe Laurent Nkunda wegen „schlechter Führung“ und „Größenwahn“ abgesetzt und sei bereit für einen Friedenschluß mit der Regierung. Dieser erste Versuch, den General zu entmachten scheiterte vorerst. Der stellvertretende Generalstabschef Sultani Makenga erklärte, Nkunda bleibe CNDP-Chef und auch dieser dementierte kurz darauf seine Absetzung, doch war seine Position innerhalb der Bewegung offenbar schwer angeschlagen.
Es war unklar, wieviel Einfluß Nkunda noch über seine Kämpfer besaß.

In der Woche vom 18.-23. Januar überschlugen sich die Ereignisse. Ruandische Truppen marschierten zur Unterstützung der kongolesischen Regierungsarmee ein, um mit ihr gegen die Völkermord-Miliz FDLR vorzugehen – vor wenigen Wochen ein undenkbarer Vorgang.
Damit nicht genug, die wichtigsten Befehlshaber der CNDP verkündeten unter Bosco Ntaganda einen Waffenstillstand mit der Regierung und ließen Kabilas Truppen auf CNDP-Territorium. Die gegen die CNDP kämpfende regierungstreue Miliz „Pareco“ (Kongolesische Widerstandspatrioten) unter „Oberst“ Mugabo kapitulierte ebenfalls.
Laut dem Kongo-Experten Jason Stearns hatte sich bei Präsident Joseph Kabila die Auffassung durchgesetzt, daß die Ostprovinzen ohne Ruanda nicht zu kontrollieren sind.
Nach einem kurzen Gefecht zwischen der CNDP/Kabila/Ruanda-Allianz und den unterlegenen letzten Getreuen Nkundas in dessen Hochburg Bunagana floh der General nach Ruanda, wo er verhaftet wurde. Anderen Quellen zufolge solle sich Nkunda bereits in Ruanda befunden haben, daß ihn zu Konsultationen einbestellt habe. Das wäre auf jeden Fall ein cleverer Schachzug Ruandas gewesen. So konnte man Nkunda verhaften und gleichzeitig sicher sein, daß er seine loyalen CNDP-Verbände nicht mehr gegen die ruandisch-kongolesischen Truppen mobilisieren kann. Internationale Beobachter erwarten, daß er an Kinshasa ausgeliefert wird und vor ein internationales Tribunal in Den Haag gestellt wird, dessen politische Neutralität ja selbst von dem serbischen Ex-Premier und Milosevic-Gegner Vojislaw Kostuncia in Frage gestellt wird.
Es dürfte auch nicht überraschen, wenn Bosco Ntaganda, der selbst von der UN wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit gesucht wird, wegen seines Verrates und seiner „Kapitulation“ vor Kinshasa amnestiert wird. Vermutlich wurde Ntaganda genau mit diesem Versprechen geködert. Das ist Spekulation – klingt aber logisch.

Doch so schnell wird es mit dem Frieden in der Demokratischen Republik Kongo nichts werden. Es gilt noch die FDLR zu entwaffnen und die ugandischer Terrorgruppe LRA zu zerschlagen, die im Kongo Zivilisten ermordet und Kindersoldaten rekrutiert. Außerdem ist unklar, wie sich die nkunda-loyale Rest-CNDP verhalten wird.

Ob Nkunda dem Land wirklich Befreiung gebracht, oder ob nur ein neuer Diktator einen anderen abgelöst hätte, ist schwer zu sagen. Nach dem Abtritt des alten Antoine Gizenga von der politischen Bühne und den Wahlboykotten von Ex-Premier Etienne Tshisekedi und seiner UDPS sind Hoffnungsträger im Kongo spärlich gesät.



Kay Hanisch