Zwei Morde und keine Versöhnung

Zwei Morde und keine Versöhnung

Bei den nach der Ermordung des Staatschefs notwendigen Präsidentschaftsneuwahlen in Guinea-Bissau siegte ein in der DDR ausgebildeter Politologe über einen ziemlich schrägen Populisten.

Nun ist es Malam Bacai Sanha endlich gelungen! Nach den Wahlen 2000 und 2005 konnte er im dritten Anlauf das Präsidentenamt erobern, daß er als Übergangspräsident 1999-2000 bereits schon einmal inne hatte.

Die Neuwahl des Präsidenten war in dem kleinen, turbulenten westafrikanischen Land notwendig geworden, nachdem der langjährige Staatschef und die prägende politische Figur nach der Unabhängigkeit, Joao Bernardo Vieira, genannt „Nino“, im März 2009 von Soldaten ermordet worden war.

Erinnern wir uns! Vieira war der Führer des militärischen Widerstandes der linken Afrikanischen Partei für die Unabhängigkeit von Guinea und Cap Verde (PAIGC) gegen die portugiesischen Kolonialherren. Nach der Unabhängigkeit 1973 wurde Luis de Almeida Cabral, der Bruder des ermordeten PAIGC-Gründers, Staatspräsident, Vieira sein Premierminister. (siehe hierzu Welt im Blick, Artikel 2005, „Nino kehrt zurück“)
1980 stürzte Vieira Präsident Cabral und übernahm das Präsidentenamt. Politisch änderte sich wenig. Der neue Staatschef setzte außenpolitisch den anti-imperialistischen Neutralitätskurs seines Vorgängers fort, die PAIGC blieb Einheitspartei, lediglich die Vereinigung mit dem Inselstaat Kap Verde wurde auf Eis gelegt.
Mit Glasnost und Perestroika im Ostblock wurde auch im sozialistischen Guinea-Bissau der Ruf nach Veränderung laut. Der Theologe und Philosoph Kumba Yala wurde 1989 aus der PAIGC ausgeschlossen, nachdem er demokratische Reformen gefordert hatte.
Als Viera dann zwei Jahre später eine Demokratisierung einleitete, gründete Yala 1992 die sozialistisch orientierte Partei der Sozialen Erneuerung (PRS) und trat 1994 gegen den Präsidenten an, unterlag aber in der Stichwahl.
1999 wurde Vieira dann durch eine Militärrevolte unter Führung von General Ansumané Mané gesürzt, die als „der längste Militärputsch Afrikas“ in die Geschichte einging. Die Rebellion begann im Juni 1998 und endete erst im Mai 1999 mit Vieiras Sturz und seiner Flucht ins Exil. Zum Schluß hielt die Regierung dank Vieiras 400 Mann starker Leibgarde und Truppen aus Senegal und der benachbarten Republik Guinea immer noch Teile der Hauptstadt.
Auch damals war die Situation undurchsichtig. Vieira und der Aufstandsführer Mané, immerhin ein Adoptivbruder des Präsidenten und unter diesem ein Jahr Außenminister, warfen sich gegenseitig kriminelle Aktivitäten vor. Mané wurde beschuldigt, bewaffnete Rebellionen in Senegal und Gambia zu unterstützen, um seinem erklärten Ziel, der Wiederherstellung des einstigen Reiches seines Mandingo-Volkes, näher zu kommen. Gleichzeitig machte er Front gegen Vieiras starke Anlehnung an Frankreich nach dem Ende des Kalten Krieges.
Selbst die PAIGC, welche die Parlamentsmehrheit hinter sich wußte, entzog Vieira während des Putsches die Unterstützung. In den Wirren nach der Flucht des Präsidenten wurde Mané für sieben Tage provisorisches Staatsoberhaupt, bis er von Parlamentschef Malam Bacai Sanha als Übergangspräsident abgelöst wurde.
Sanha genoß die Unterstützung der PAIGC und so trat er als Kandidat für die Präsidentschaft 2000 an. Während er im ersten Wahlgang führte, unterlag er in der Stichwahl Kumba Yala und dessen Partei PRS.
Der sprunghafte Volkstribun Yala, welcher es sich auch bei tropischen Temperaturen nicht nehmen läßt, bei öffentlichen Auftritten eine knallrote Pudelmütze zu tragen und für seine nur wenige Zeilen umfassenden, schwer verständlichen Gedichte bekannt ist, verkörperte die Sehnsucht nach einem politischen Wechsel. Allerdings wurden die Wähler schnell enttäuscht. Die rote Pudelmütze ist das Symbol der Balanta, dem Volk Yalas, die mit ca. 30% die größte Bevölkerungsgruppe in Guinea-Bissau stellen. Und Balanta mußte man sein, wenn man unter dem neuen Staatschef Karriere machen wollte.
Yalas Bilanz als Präsident war verheerend. Seine PRS hatte keine eigene Mehrheit im Parlament und war auf die Unterstützung der liberalen Bafata-Widerstandsbewegung (RGB-MB) angewiesen, mit der es immer wieder Auseinandersetzungen gab, während Teile der PAIGC und anderer Oppositionsparteien den von Yala ernannten häufig wechselnden Premiers kein Vertrauen aussprachen. Der Präsident setzte zunehmend auf die ethnische Karte und brachte fast ausschließlich Balanta in Schlüsselpositionen. So wurden viele erfahrene Personen in Armee, Justiz und Verwaltung durch unfähige oder unerfahrene ersetzt. Der konfrontative, autoritäre Politikstil und das lose Mundwerk des Präsidenten brachten zunehmend Opposition, Parlament und Demonstranten gegen ihn auf.
Dies rief den Unruhestifter General Mané wieder auf den Plan, der sich selbst zum Oberbefehlshaber der Armee ernannte und Yala stürzen wollte. Doch in diesem Falle erwies sich Yalas ethnische Klientel-Politik als nützlich: Balanta-Militärs vereitelten den Umsturz, Mané wurde dabei getötet. Kurz darauf scheiterten weitere Umsturzversuche.
Nachdem bekannt wurde, daß Spitzen-Militärs sich an Hilfsgeldern bereichert haben sollen und mit dem Drogenhandel zusammenarbeiteten, ließ Yala auch einige von ihnen durch eigene Vertrauensleute ersetzen, was nicht nur in der Armee, sondern auch in der mit dem Militär verbundenen PAIGC für Unmut sorgte.
Als die Oppositionsparteien sich weigerten, die Absetzung rebellischer Richter und die Ernennung neuer Juristen durch den Präsidenten anzuerkennen, drohte Yala mit der Schließung des Parlaments für 10 Jahre.

Während Yala außenpolitisch einige Erfolge vorweisen konnte – so verbesserte er die Beziehungen zu den Nachbarländern, festigte bei Staatsbesuchen den regionalen Frieden und versuchte, Guinea-Bissau aus den Verstrickungen des senegalesischen Bürgerkrieges herauszulösen (u.a. durch Schließung der Rebellen-Basen im Norden des Landes) führte er das Land innenpolitisch in eine Sackgasse.
So stieß auch seine Entmachtung durch einen Militärputsch auf allgemeine Zustimmung in der Bevölkerung. Yala wurde inhaftiert, kurz darauf aber unter Hausarrest gestellt, nachdem er auf sein Amt unter Druck des Militärs verzichtet hatte und mußte einer 5-jährigen Politik-Auszeit zustimmen.
Trotz Yalas katastrophaler Regierungsbilanz wurde die PRS bei den Parlamentswahlen 2004 stärkste Oppositionspartei. Das Oberste Gericht erlaubte seine Kandidatur bei der Präsidentschaftswahl. Doch er war nicht der einzige Wiedergänger zur Wahl. Sowohl Sanha als PAIGC-Kandidat, als auch der kurz zuvor zurückgekehrte Ex-Präsident Vieira, welcher als Unabhängiger antrat, wurden als chancenreiche Kandidaten betrachtet.

Yala, der im Mai 2005 mit einigen Anhängern für vier Stunden den Präsidentenpalast besetzte, nachdem er seine Absetzung für illegal erklärt hatte und sich wieder zum rechtmäßigen Staatsoberhaupt ausgerufen hatte, teilte mit, daß die Präsidentschaftswahlen (zu denen er ja selbst antrat) nicht legitim seien.
Dessen ungeachtet ging das politische Leben in Guinea-Bissau weiter, in der Stichwahl traten Vieira und Sanha gegeneinander an. Der drittplazierte Yala rief ausgerechnet zur Wahl seines Erzfeindes Vieira auf, welcher mit 52,35% die Wahl gewann.

Die abermalige Präsidentschaft Vieiras sollte ganz unter dem Motto der „Nationalen Versöhnung“ stehen, doch es gelang dem Präsidenten offenbar nur schwer, das Land zu stabilisieren.
Der internationale Drogenhandel machte sich in Guinea-Bissau immer stärker breit und drängte den Staat zurück oder durchsetzte ihn. Ein Gewirr von kleinen Landebahnen im Landesinneren und zahlreiche vorgelagerte Inseln bieten ideale, schwer zu kontrollierende Versteckmöglichkeiten für Rauschgiftschmuggler.

Mit dem Armeechef Tagme Na Wai lag Vieira schon längere Zeit über Kreuz. Beide waren Todfeinde. Für viele Beobachter war es nur eine Frage der Zeit, wer von den beiden wen zuerst umbringen würde. Als Na Wai im März 2009 im Militärhauptquartier durch einen Bombenattentat, bei dem fünf weitere Menschen verletzt wurden, getötet wurde, beschuldigten Kreise des Militärs den Staatspräsidenten Vieira hinter dem Anschlag zu stecken. Die Bombe explodierte im Treppenhaus des Militärhauptquartiers und legte große Teile des Gebäudes in Schutt und Asche.

Noch in der selben Nacht fuhren Na Wais Soldaten zum Präsidentenpalast und ermordeten auf bestialische Weise den Staatschef, obwohl dessen Verwicklung in den Mordanschlag an Na Wai überhaupt nicht erwiesen war. Der britische Thriller-Autor Frederick Forsyth, welcher in einem Hotel gegenüber des Präsidentenpalastes nächtigte, wurde Zeuge des Mordes.
Die Soldaten beschossen den Palast mit Raketen. Forsyth schildert die Ermordung Vieiras, nachdem er am frühen Morgen durch das Einstürzen des Daches von dessen Residenz geweckt worden war:

"Die Soldaten gingen zu seiner Villa und warfen eine Bombe durch das Fenster, die ihn aber nicht tötete. Das Dach stürzte ein, aber das tötete ihn auch nicht. Er arbeitete sich aus den Trümmern heraus und wurde sofort angeschossen. Auch dann war er nicht tot. Dann nahmen sie in mit zum Haus seiner Schwiegermutter und zerstückelten ihn mit Macheten".

Die Ehefrau des Präsidenten ließen die Putschisten entkommen. Auch fand keine Machtübernahme statt. Hohe Militärs distanzierten sich von der Ermordung des Staatschefs und machten eine “nicht identifizierte Gruppe im Militär“ für den Mord verantwortlich. Der Parlamentspräsident Raimundo Pereira übernahm verfassungsgemäß für drei Monate das Amt des Staatsoberhauptes und ließ Neuwahlen ansetzen.

Nach dem Mord stand das kleine Land unter Schock. Bis heute ist nicht geklärt, wer Drahtzieher für die beiden Morde gewesen ist, die das Land nachhaltig destabilisiert haben. Allerdings sind Bombenanschläge ein eher unübliches Mittel in afrikanischen Machtkämpfen. Sie sind eher gebräuchlich bei der internationalen Drogenmafia. Daher wird vermutet, daß nicht Vieira, sondern die Drogenmafia hinter der Ermordung des Militärchefs gestanden haben könnte und der unglückliche Präsident dafür büßen mußte.

Sowohl der Präsident, als auch sein Stabschef warfen sich gegenseitig Verwicklung in den Drogenhandel vor. Ob nun einer von beiden, oder gar beide im Drogensumpf steckten, wird ein Mysterium dieses kleinen, undurchsichtigen Landes bleiben. Eine kirchliche Organisation (Fidesdienst 27/05/2005) stellte bereits bei Vieiras Rückkehr im Jahr 2005 fest, daß dieser über „viel Geld und etwa 150 Autos“ verfüge, die er an verschiedene Politiker verschenke, um sich beliebt zu machen und vermutete eine „ausländische Macht“ hinter ihm.

Tagme Na Wai hatte bereits im Januar erklärt, er wäre Opfer eines Attentatsversuches geworden, als präsidententreue Soldaten das Feuer auf seinen Wagen eröffnet hatten.
Nach dem bekannt wurde, daß die Präsidentengarde den Armeechef töten wolle, ließ dieser sie von seinen Soldaten entwaffnen.

Doch mit der Ermordung der beiden Widersacher endete die Phase der Instabilität nicht. Noch vor der Neuwahl wurde Baciro Dabo, Präsidentschaftskandidat und früherer Minister für territoriale Verwaltung durch Militärs in seinem Schlafzimmer erschossen. Es war zu befürchten, daß der Anhänger von Präsident Vieira, sollte er die Wahl gewinnen, eine Untersuchung über die Ermordung des Staatschefs einleiten würde.
Ebenfalls von Militärs wurden der ehemalige Regierungschef Faustino Imbali und der Ex-Verteidigungsminister Helder Proenca von Militärs getötet. Allen drei getöteten PAIGC-Mitgliedern warf das Militär vor, einen Putsch geplant zu haben, mit dem Ziel zur Ermordung des amtierenden Premiers Carlos Gomez Junior (ebenfalls PAIGC).
Mindestens ein Präsidentschaftskandidat hat seine Kandidatur aufgrund der Mordfälle an Politikern zurückgezogen.
Die wirklichen Motive über die Morde an Na Wai, Vieira und den anderen liegen im Dunkeln. Handelt es sich bei den Tätern um eine untereinander verflochtene Gruppe sowohl in der PAIGC als auch im Militär? Hat sie möglicherweise Beziehungen zur Drogenmafia? Waren es rivalisierende Geschäftsinteressen dieser Gruppen? War der aufrichtige, einstige Unabhängigkeitskämpfer Vieira wirklich sauber und dieser Clique nur im Weg oder selbst in dunkle Geschäfte verwickelt? War möglicherweise die Ermordung des Armeechefs von einer dritten Gruppe inszeniert, um Na Wais Anhänger zum Putsch gegen den Präsidenten aufzustacheln? Die Informationen aus dem kleinen Land sind spärlich und widersprüchlich.

Kumba Yala, der Malam Bacai Sanha im nunmehrigen Wahlkampf ebenfalls Verstrickungen in den Drogenhandel vorwarf, wurde von den mordlüsternen Militärs verschont. Offenbar fürchtete man gewaltsame Zusammenstöße mit den Balanta, die ebenfalls große Teile des Militärs stellen. Eine Ermordung Yalas hätte einen Bürgerkrieg auslösen können.

Ein öffentliches Wahlkampfduell zwischen Yala und Sanha wurde von letzterem abgelehnt.

Zur Präsidentenwahl hatten sich 13 Kandidaten in Stellung gebracht. Neben den Ex-Präsidenten Kumba Yala und Malam Bacai Sanha trat auch der frühere Übergangspräsident Henrique Pereira Rosa, ein parteiloser Geschäftsmann, der von 2003-05 die Geschicke des Landes geführt hatte. Die drei genannten galten als die chancenreichsten Bewerber. Keiner der Kandidaten erhielt über 50% der Stimmen, so das eine Stichwahl zwischen den zwei Bestplatzierten Sanha (37,54%) und Yala (27,90) notwenig wurde.
Henrique Pereira Rosa belegte mit 22,94% den dritten Platz, gefolgt von Mamadu Iaia Djalo von der New Democratic Party (2,95%) und dem Unabhängigen Joao Gomes Cardoso mit 1,15% der Stimmen. Von den übrigen sechs Kandidaten erreichte keiner mehr als 1%.
In der Stichwahl triumphierte dann Sanha mit 63,5% erwartungsgemäß über Yala (36,5%)
Die beiden Kandidaten und auch die PAIGC und die PRS hatten vor der Wahl einen Vertrag unterschrieben, in dem sie sich bereit erklären, auf Gewalt nach Wahl zu verzichten und ausschließlich verfassungsgemäße Wege zu gehen, falls es zu Unregelmäßigkeiten kommen sollte. Allerdings schränkte Yala dieses Bekenntnis, der inzwischen zum Islam konvertiert ist und sich jetzt Mohamed Yala Embalo nennt, in seiner typisch provokativen Weise ein: „Natürlich werden wir gerechte und eindeutige Ergebnisse akzeptieren. Ergebnisse, die keine Verständigungsschwierigkeiten verursachen. Wir sind Demokraten und haben da schon Beispiele gegeben.“

Im Wahlkampf wartete Yala mit den für ihn typischen skurrilen Ideen auf. So wollte er zum Beispiel die Landeshauptstadt nach Buba im Süden verlegen und aus der Stadt eine Metropole wie New York machen. Er begründet dies mit der strategisch günstigen Lage Bubas und der Möglichkeit, eine Eisenbahnverbindung zwischen Mali und der Republik Guinea zu schaffen, während die alte Hauptstadt Bissau nur noch als Handelszentrum erhalten bleiben soll. Zwar wurde über die Möglichkeit diskutiert, in Buba einen Tiefwasserhafen zu schaffen, allerdings bleibt fraglich, wie in dieser tiefen Provinz eine Stadt im Stile New Yorks entstehen soll.

Unter einem Präsidenten Malam Bacai Sanha, der sich nach eigener Aussage um eine Versöhnung im Lande bemüht, wird das Militär wieder stärker ein Wörtchen mitzureden haben. Der frühere Übergangspräsident wirkt als „nationaler Versöhner“ sicherlich glaubwürdiger als der große Polarisierer Yala, aber gleichzeitig gab Sanha schon einmal einen Einblick in das, was er unter Versöhnung versteht:
„Wenn wir den Frieden bewahren wollen, können wir nicht mit Gewalt die Probleme in den Streitkräften lösen. Wir müssen die Streitkräfte an der Lösung unserer und ihrer eigenen Probleme beteiligen. Bei den Militärs handelt es sich um Führungskräfte, die argumentieren können, die wissen, was die Sicherheit und die Souveränität des Landes bedeuten. Wir werden also mit Ihnen diskutieren.“

In wie weit der neue Präsident vom Militär abhängig ist, läßt sich nach diesen Worten bereits erahnen. Es ist anzunehmen, daß im Zuge der „Versöhnung“ die Mörder von Vieira straffrei ausgehen werden und die Ermittlungen im Sande verlaufen.
Es stehen noch unruhige Zeiten in dem kleinen Land bevor.



Kay Hanisch