Das Ende der M23



Der Untergang Kongos erfolgreichster Guerilla



11.11.2013. Mit Hilfe ausländischer Interventionstruppen konnte die kongolesische Regierung die M23, eine Guerilla, die vor wenigen Wochen noch nahezu unbesiegbar schien, niederringen. Warum lag dies im Interesse des Westens?


Die Bewegung des 23. März (M23), eine Guerilla-Armee, welche im Osten der Demokratischen Republik Kongo kämpft, ist besiegt. Ihr politischer „Präsident“ Bertrand Bisimwa ist nach Uganda geflohen, ihr militärischer Führer, General Sultani Makenga untergetaucht. Rund 100 Kämpfer haben sich der kongolesischen Regierungsarmee FARDC ergeben, 1.500 – 2.000 Guerilleros sind über die Grenze nach Uganda marschiert, wo sie sich entwaffnen ließen. Damit endet eine vor rund 20 Monaten begonnene Rebellion.

Die Gründe für den M23-Aufstand

Von 2006 bis 2009 kämpfte unter dem charismatischen General Laurent Nkunda eine Guerilla-Armee namens Nationalkongress zur Verteidigung des Volkes (CNDP) im Osten Kongos. Sie verfügte zeitweise über bis zu 7.000 Soldaten, über schwere Waffen und sogar über einige erbeutete Kampfpanzer. Ihr Ziel: der Schutz der ethnischen Minderheit der kongolesischen Tutsi vor staatlicher Diskriminierung und vor den Übergriffen gewalttätiger, rassistischer Milizen, wie z.B. der FDLR, einer rund 2.000 Mann starken Einheit, die aus ehemaligen Verantwortlichen für den Völkermord im benachbarten Ruanda bestehend, in den kongolesischen Urwald geflohen war und dort ihr Unwesen trieb.
Die CNDP gab sich zunehmend eine nationale Agenda, immer mehr unzufriedene Angehörige anderer Ethnien schlossen sich der Gruppierung an und bald machten die Tutsi weniger als 50% der Kämpfer aus. Der studierte Psychologe Laurent Nkunda, der es wie kein anderer verstand, sich und seine Rebellion vor den Medien zu verkaufen, gab internationalen Journalisten Interviews in seinem Hauptquartier. Er wandte sich gegen die Ausbeutung der kongolesischen Rohstoffe durch kriminelle Netzwerke, träumte von einer funktionierenden, effektiven gesamtkongolesischen Armee, die er mit der Regierung gemeinsam aufbauen wollte und von einem Kongo unter seiner Führung, der im Weltsicherheitsrat sitzt. (Ohne Zweifel hatte Nkunda die Bedeutung seines Landes, welches über gewaltige Rohstoffvorkommen verfügt, richtig erkannt).
Die CNDP galt als militärisch wesentlich effizienter und ihre Soldaten als disziplinierter als jene der verlotterten Regierungsarmee FARDC, deren Soldaten oft nicht bezahlt wurden und die Zivilbevölkerung ausplünderten und vergewaltigten.
Einer Studie deutscher Wissenschaftler zufolge waren die Lebensverhältnisse im CNDP-Gebiet, wo Nkunda mittlerweile eine eigene zivile Verwaltung eingesetzt hatte und Steuern erhob, besser (und vor allem sicherer) als jene in den von der Regierung „kontrollierten“ Gebieten, in denen ca. 40-55 kleinere und mittlere Milizen ihr Unwesen trieben.
Nkunda drohte immer öfter damit – beflügelt durch seine militärischen Erfolge gegen die FARDC – mit der CNDP bis nach Kinshasa zu marschieren – angesichts von nur 7.000 Kämpfern und der gewaltigen Strecke auf unbekanntem Terrain – ein völliger Irrsinn, weshalb ihm hochrangige Mitstreiter „Größenwahn“ vorwarfen. In Wirklichkeit diente die Drohung Nkundas dazu, die Regierung wieder an den Verhandlungstisch zu bringen und gleichzeitig unzufriedene Regierungsgegner in anderen Landesteilen für sich zu gewinnen. Doch dann geschah etwas, womit der clevere Stratege Nkunda offenbar nicht gerechnet hatte.
Seine „Nummer 2“, der opportunistische „General“ Bosco Ntaganda, der mit seiner eigenen Miliz zur CNDP gestoßen war und als Kriegsverbrecher gesucht wurde, verbündete sich mit der kongolesischen Regierung und ging mit seinen Truppen und der FARDC gegen den überraschten Nkunda vor, um ihn abzusetzen. Dieser konnte gerade noch mit ein paar hundert Kämpfern nach Ruanda flüchten, welches die CNDP angeblich laut westlicher Presse unterstützte. Dort wurde er „verhaftet“, damit er nicht an den Kongo ausgeliefert werden mußte und schmort bis heute in einer Villa unter Hausarrest.
Es dauerte etwas, bis einige hochrangige CNDP-Offiziere begriffen hatten, was da gerade passiert war, doch bis sie es merkten, war es zu spät. Ntaganda ließ die zahlenmäßig überlegene FARDC ins CNDP-Gebiet einrücken und nahm Verhandlungen mit der Regierung auf. Die CNDP wurde in eine Partei umgewandelt, diese wiederum ging als Teil des großen, zersplitterten Parteienbündnisses, welches Präsident Joseph Kabila unterstützte politisch unter. Die CNDP-Kämpfer wurden in die Armee integriert und sollten gemeinsam mit der FARDC nun gegen andere Milizen, besonders gegen die FDLR vorgehen. Ntaganda wurde offiziell zum General der Regierungsarmee ernannt und durfte seine Ländereien behalten und seine krummen Geschäfte weiter führen.

Enttäuschung führt zu neuer Rebellion

Da die ehemaligen CNDP-Kämpfer nun aus ihren angestammten Gebieten auf weit von einander entfernt liegende Militärcamps im riesigen Kongo versetzt werden sollten, die politischen Forderungen im Friedensvertrag vom 23. März 2009 aber nicht umgesetzt worden waren, regte sich Unmut unter den alten Widerstandskämpfern. Diese forderten die Umsetzung der Punkte des Abkommens vom 23. März und um diesem Nachdruck zu verleihen, nannte sich die neue Rebellion Bewegung des 23. März (M23). Zu den führenden Köpfen gehörte neben Bosco Ntaganda die frühere „Nummer 3“ der CNDP, General Sultani Makenga – ein Nkunda-Anhänger, den mit Ntaganda eine leidenschaftliche Abneigung verband und der diesem den „Putsch“ gegen den früheren Chef nachtrug. Derweil hatte der kongolesische Präsident verkündet, er wolle Ntaganda an den Internationalen Strafgerichtshof (IStGh) ausliefern, was ebenfalls ein Grund dafür war, daß der opportunistische Milizenchef eine neue Rebellion forcierte.
Führende zivile Mitglieder der CNDP-Partei versuchten zunächst zu vermitteln, doch es half nichts.
Recht schnell eroberten die M23-Rebellen in der Provinz Nord-Kivu alte Positionen, die schon früher von der CNDP gehalten worden waren. Mit dem Terrain vertraut, wesentlich disziplinierter, besser organisiert und motivierter als Kabilas Lumpenarmee, konnte sich die M23 immer weiter ausbreiten und im November 2012 sogar die Millionenstadt Goma an der Grenze zu Ruanda erobern. Damit war die Guerilla aber einen Schritt zu weit gegangen. Die ständige Instabilität des Kongo wurde von den Nachbarstaaten zwar schon immer als Bedrohung wahrgenommen, doch jetzt fiel sie erst richtig ins Auge.
Von Regierungen, die mit der M23 sympathisierten (Ruanda und Uganda) wurde der Guerilla geraten, die Stadt wieder zu räumen – ohnehin wäre dieser Moloch für die damals noch nicht einmal 2.000 Mann starke Tutsi-Guerilla kaum zu verteidigen gewesen. Für diesen Schritt sollte die M23 dann aber mit der Regierung Verhandlungen über die politischen Forderungen der Rebellen führen dürfen. Die Regierung Kabila stimmte widerwillig zu und es begann ein von Uganda moderierter Verhandlungsmarathon in Kampala.
Die Kabila-Regierung hatte aber nur wenig Interesse an einem echten Verhandlungsergebnis. Erstens war sie verärgert, weil mit den selben Protagonisten 2009 ja bereits ein Friedensprozeß vereinbart worden war – und jetzt kam diese neue Rebellion! Das die Vereinbarungen seitens der Regierung kaum umgesetzt worden waren – dieser Selbstkritik stellte sich das Kabila-Regime nicht. Zweitens wollte Kinshasa die M23 durch Verhandlungen nicht „adeln“, da auf diese Weise andere Rebellengruppen nur ermutigt werden würden.

Der Westen stützt das Kabila-Regime

Obwohl die Regierung Kabila als völlig unfähig und korrupt gilt, die letzten Präsidentschaftswahlen nachweislich manipuliert waren und das Regime für die Entwicklung des Landes kaum etwas getan hat, unterstützt die westliche Staatengemeinschaft den seit 2001 amtierenden Staatschef, dessen einzige politische Großtat es war, sich beim NATO-Überfall auf Libyen 2011 zu weigern, die vom Westen protegierten islamistischen „Rebellen“ als Regierung Libyens anzuerkennen. Obwohl diese Haltung Kabilas vielleicht nur durch Druck seines kleinen Koalitionspartners PALU, einer linken, antikolonialen Partei, welche damals mit Adolphe Muzito den Premierminister stellte, zustande kam.

Warum also ist der Westen so interessiert, Kabila im Amt zu behalten? Zum einen gilt er als geschmeidig im Umgang mit den westlichen Partnerländern – zumindest im Gegensatz zu seinem politischen Hauptgegner Etienne Tshisekedi. Der greise Sozialdemokrat und Ex-Premier – Führungsfigur des zivilen Widerstandes gegen die Mobutu-Diktatur in den 90iger Jahren - gilt als sprunghaft und altersstarrsinnig.
Zum anderen sicherte die schwache „Herrschaft“ Kabilas, der die Kontrolle über den Ostkongo ja weitgehend an diverse Milizen verloren hatte, die Existenz mafioser Netzwerke, welche unter günstigen Bedingungen die Rohstoffquellen (z.B. das begehrte Coltan-Erz) ausbeuteten. Diese Rohstoffe landeten dann unter günstigen Bedingungen im Westen.
Ein General Nkunda oder dessen Anhänger in der M23, die solchen Zuständen ein Ende bereiten wollten, waren da störend.
In typischer Mischung aus Unkenntnis, Ignoranz und interessengeleitetem Geschreibsel im Sinne ihrer Geldgeber verdrehte die westliche Presse natürlich oft die Gegebenheiten und brachte die M23 mit dem Rohstoffschmuggel in Verbindung. Auch wurde den Rebellen unterstellt, die M23 sei der verlängerte Arm Ruandas und dieses Land wollte sich mit der Unterstützung der Guerilla wirtschaftliche Einflußgebiete im Kongo sichern.
Dabei vergaß die hiesige Idioten-Presse zu erwähnen, daß in jenen Gebieten, welche die M23 kontrollierte, kaum welche der begehrten Rohstoffe lagerten. Die Guerilla finanzierte sich durch den Handel mit der dringend benötigten Holzkohle oder durch die Erhebung von Transitgebühren. Ruanda hat eine Unterstützung der CNDP und der M23 stets abgestritten. Es ist aber nicht von der Hand zu weisen, daß es beiden Rebellen-Armeen mit unverhohlener Sympathie gegenüberstand, da beide von der Ethnie der Tutsi dominiert wurden, welche auch die Regierungselite in Ruanda stellte. CNDP und M23 hatten sich u.a. die Bekämpfung der FDLR im Kongo zur Aufgabe gemacht – welche aus den 1994 gestürzten Hutu-Rassisten besteht, die in Ruanda einen Genozid an den Tutsi zu verantworten hatten und dann aus Angst vor Rache in den Kongo flohen.

Zwei Deutsche bringen die Wende

Sowohl von der CNDP als auch von der M23 wurden die UNO-Truppen der Blauhelm-Mission MONUSCO jahrelang zum Narren gehalten. Die UN-Truppe wirkte wie ein Papier-Tiger und die Rebellen waren ihr oft einen Schritt voraus. Das änderte sich erst, als der Deutsche Martin Kobler Leiter der Mission wurde. In wenigen Monaten rüstete er seine Soldaten auf und legte sich eine schlagkräftige Truppe namens „Force Intervention Brigade“ (FIB) zu, welche mit tausenden von südafrikanischen und tansanischen Soldaten verstärkt wurde.
Auch Kabila hatte die Wirkungslosigkeit seiner Regierungsarmee, die sich vor der Schlacht besoff und beim Herannahen des Feindes die Waffen wegwarf, um besser flüchten zu können, längst erkannt. So rekrutierte er einen weiteren „Deutschen“. Der hieß Francois Olenga und war eigentlich kein Deutscher, lebte aber seit vielen Jahren in Köln. Er war der Sohn eines Mitstreiters des antikolonialen Befreiungshelden und ersten kongolesischen Premierministers Patrice Lumumba. Beim Sturz der Mobutu-Diktatur 1997 schloß sich Olenga den Rebellentruppen von Kabilas Adoptivvater Laurent-Désiré Kabila an, der 2001 nach vier Jahren als Staatschef unter bis heute ungeklärten Umständen ermordet wurde.
Olenga schaffte es jedoch, aus der verlotterten FARDC in kurzer Zeit eine halbwegs taugliche Armee zu machen. Er straffte die Kommando- und Versorgungsketten und setzte jüngere und fähigere Offiziere ein. Kabila selbst hatte die Zeit der Verhandlungen mit der M23 in Uganda genutzt, um seine Armee mit besserem Material auszurüsten. Mit modernsten Waffen, UNO-Truppen an ihrer Seite und neuer Kampfmoral ausgestattet, holte die FARDC zum Gegenschlag aus. Aus einem taktischen Rückzug der M23 schöpfte sie neue Motivation. Mit einer geradezu unbekannten Siegestrunkenheit stürmte die Armee nach vorn und drängte die M23 in die Defensive. Deren Motivation war seit mehreren Wochen ohnehin schon im Keller. Zum einen hatte sich die Bewegung gespalten: der Opportunist Bosco Ntaganda und der Nkunda-Anhänger Sultani Makenga hatten sich zerstritten und es gab Bruderkämpfe unter den M23-Soldaten. Ntaganda stellte sich dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGh) und ein Teil seiner Kämpfer ergab sich der Regierung, was die Guerilla schwächte. Die langwierigen Verhandlungen in Kampala, während derer die M23 keine Vorstöße unternehmen konnte oder wollte, nagte ebenso an der Moral der Truppe wie der – dem einfachen Soldaten schwer verständliche - Rückzug aus Goma 2012.
Einer der ersten Luftangriffe der gefürchteten südafrikanischen Rooivalk-Kampfhubschrauber der MONUSCO zerstörte – wie fies – den einzigen Kampfpanzer der M23. Andere schwere Waffen waren die nächsten Ziele. Den Luftangriffen waren die Rebellen nicht gewachsen. Ihre letzten eingebunkerten Bergstellungen, in die sich ein harter Kern von rund 100 Kämpfern zurückgezogen hatte, zerstörten die Rooivalks Anfang November 2013. Der politische „Präsident“ der M23, Bertrand Bisimwa, war zu diesem Zeitpunkt längst mit einen schweren Geländewagen nach Uganda geflüchtet und versuchte die Regierungsoffensive zu stoppen oder zu verlangsamen, in dem er einen einseitigen Waffenstillstand ausrief, doch die FARDC, der die UNO den Weg freigeschossen hatte, ließ sich von so etwas Banalem wie dem Wunsch nach Frieden nicht beirren. Ein paar hundert M23-Kämpfer wollten nun einen Guerilla-Krieg gegen die FARDC führen, aber die Zerstörung ihrer rückwärtigen Waffenlager machte dies unmöglich.
So kam es, daß die M23 rund 20 Monate nach ihrem erfolgreichen Start Geschichte war. Im Gegensatz zu den anderen dezentralen Milizen im Ostkongo, war die M23 wie eine reguläre kleine Armee aufgebaut. Es gab ein Gebiet, das sie regierte und klare Verantwortlichkeiten.
Bertrand Bisimwa erklärte, die M23 werde nun auf politischem Wege für ihre Ziele kämpfen. Das hatte die CNDP auch vor gehabt und es war der direkte Weg in die Randexistenz als Splitterpartei.
Mittlerweile liest man von einer neuen, unbekannten Guerilla im Kongo, über deren Ziele und Köpfe noch nichts bekannt ist. Ihr Name: M18.





Kay Hanisch
November 2013