Gescheiterte Einheit

Die gescheiterte Wiedervereinigung


20 Jahre demokratische Wende und eine Wiedervereinigung, die nie stattgefunden hat.

Die Staatsverschuldung ist horrend, der finanzielle Handlungsspielraum der Republik nimmt ab, Bildung und Kultur werden kaputtgespart und die Verarmung breiter Bevölkerungsschichten nimmt zu. Doch unsere Regierung findet immer noch ein unsinniges Prestigeobjekt, für das Geld zum Fenster hinausgeworfen werden kann. Jetzt soll es also nach dem Holocaustmahnmal (ein Museum hätte es auch getan und wäre viel informativer gewesen) und dem ebenfalls aus Prestigegründen erfolgten Abriß des Palastes der Republik in Ostberlin (Kosten ca. 1,6 Milliarden Euro!) ein Denkmal der Deutschen Einheit sein. Welche Einheit, müssen hier alle Ostdeutschen fragen, die für die gleiche Arbeit wie in den alten Ländern einen viel geringeren Lohn erhalten. Welche Art der Wiedervereinigung soll mit diesem Denkmal überhaupt gewürdigt werden? Es hat doch nie eine gleichberechtigte Vereinigung beider deutscher Staaten gegeben. Schon während der Wendemonate in der DDR versuchte das Bonner Machtzentrum Einfluß auf die politische Willensbildung in der DDR zu nehmen. Erinnern wir uns!

Die Bürgerrechtsbewegungen „Neues Forum“, „Demokratie Jetzt“ und „Initiative Frieden und Menschenrechte“ waren die eigentlichen Initiatoren der Herbstwende ´89. Ihnen ging es darum, marktwirtschaftliche Elemente in den Sozialismus einzuführen, die Bürgerrechte einzufordern, etwas gegen die extreme Umweltverschmutzung zu tun usw. Aber eines stand nie zur Diskussion: die Abschaffung der DDR.
Nachdem die Regierung Krenz die Grenzen zur BRD öffnen ließ, begannen allmählich auch die Parteien der BRD damit, Kontakte zu ihren Schwesterparteien zu suchen und diese „auf Linie“ zu bringen. Die CDU versuchte dies bei der Ost-CDU, die FDP bei der LDPD und die SPD bei der neugegründeten SDP. Auch die CSU wollte, etwas später aber, bei der DSU Fuß zu fassen, mußte dies aber auf Druck der Bonner CDU sein lassen. Nur die GRÜNEN hielten sich noch zurück.

Verschiedenste Provinzfürsten aus der Bundespolitik mischten sich in die DDR-Politik ein und versuchten ihr vom Links-Rechts-Konflikt geprägtes Weltbild zu importieren. Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU) forderte am 28. Januar 1990 die Ost-CDU auf, die SPD verstärkt öffentlich anzugreifen. Doch Parteichef Lothar de Maiziére hielt dagegen: „Als Christ halte ich es lieber mit der Sachlichkeit....“

Am 4. Februar forderte FDP-Chef Otto Graf Lambsdorff die LDPD auf, dem Sozialismus kategorisch abzuschwören und sich zum Marktliberalismus zu bekennen, sonst wäre es ein „politisches Risiko“ die LDPD als Partner zu haben. Man muß sich überhaupt fragen, wie bundesdeutsche Politiker damals dazu kamen, von politischen Vertretern eines anderen souveränen Staates damals derartige Kurswechsel zu verlangen.
Der Vorsitzende der DDR-SPD, Ibrahim Böhme, warf der CDU Helmut Kohls am gleichen Tag eine „unerträgliche Einmischung“ in den Wahlkampf vor.

Als der Runde Tisch einen Tag später beschloß, daß sich Politiker aus der alten BRD aus dem Wahlkampf in der DDR heraushalten, führte dies zu Protesten in Bonn und München. Der CSU-Landtagsfraktionschef Alois Glück erklärte sogar, daß sich seine Partei nicht an den Beschluss halten werde. Eine Ignoranz und Arroganz, die typisch ist für viele hohe Würdenträger des heutigen politischen Systems.

Am 14. Februar reisten Vertreter der DDR-Regierung Modrow enttäuscht vom deutsch-deutschen Gipfel zurück. Auch die finanzielle Soforthilfe aus dem Westen blieb aus. Matthias Platzeck, heute Ministerpräsident in Brandenburg (SPD) und damals für die Grüne Partei der DDR Mitglied des Runden Tisches, nannte das Verhalten der BRD-Regierung „schulmeisterlich“. Auch andere Minister des Runden Tisches, die mit in Bonn waren, zeigten sich enttäuscht. Walter Romberg (DDR-SPD) sagte, von dem vielbeschworenen „Geist der nationalen Verantwortung“, wie ihn Helmut Kohl predigte, sei wenig zu spüren gewesen. Auch Rainer Eppelmann vom Demokratischen Aufbruch (DA) fühlte sich brüskiert.
Die italienische Tageszeitung „La Repubblica“ schrieb zu dem oben genannten Treffen: „Kohl will vor den Neuwahlen zum Bundestag im Dezember offensichtlich den Prozeß der „Annektion“ der DDR in so fortgeschrittenem Stadium präsentieren, daß er zum dritten Mal an der Spitze des Landes bestätigt wird...“.

Am 21. Februar erklärte Bundeswirtschaftsminister Helmut Hausmann (FDP) bei einem Wahlkampfauftritt, eine Massenarbeitslosigkeit sei in der DDR nicht zu befürchten. Das mag zum derzeitigen Zeitpunkt gestimmt haben, denn Hausmann hat bestimmt nicht daran gedacht, das wenige Monate später die Deutsche Treuhandanstalt wie eine der sieben biblischen Plagen über die DDR-Wirtschaft herfallen wird.

Wir hören immer vom Sanierungsfall DDR-Wirtschaft. In diesem Zusammenhang muß auch gesagt werden, daß die BRD unter Verweis auf das „Londoner Schuldenabkommen“ von 1953 die Zahlung von Reparationen ablehnte, während die DDR zwischen 65 und 100 Milliarden Mark an die Sowjetunion zahlte. Und das, obwohl sich BRD und nicht die DDR als Rechtsnachfolger des Dritten Reiches gesehen hat. Der westdeutsche Historiker Arno Peters errechnete, daß die BRD der DDR somit einen „Reparationsausgleich“ von 727,1 Mrd. Mark hätte zahlen müssen.

Schon im Februar 1990 kritisiert der Runde Tisch die zunehmende Ausrichtung der Kultur nach marktwirtschaftlichen Kriterien, was den Rechten der Bürgerinnen und Bürger nach freiem Zugang zur Kultur widerspreche.

Zwei Wochen vor den Wahlen im März suchen mehrere Parteien außerhalb der „Allianz für Deutschland“ (CDU, DSU, DA) nach Wegen für eine Wiedervereinigung ohne den Weg über den Artikel 23 GG. Beide Staaten sollen sich reformieren und dann zusammenschließen.
Hessens Ministerpräsident Walter Wallmann weist diese Diskussion als „überflüssig und äußerst schädlich“ zurück. Die Art der Vereinigung hänge nicht nur vom Willen der Deutschen, sondern auch von den Siegermächten ab.

In der West-SPD werden Forderungen nach einer neuen Verfassung nach Art. 146 GG laut, über das Volk in einer Abstimmung entscheiden soll. Einer der Verfechter dieser Idee ist SPD-Präsidiumsmitglied Gerhard Schröder. Als Bundeskanzler 1998-2005 erklärt er aber bei den Diskussionen um den EU-Vertrag, Volksabstimmungen seien im GG nicht vorgesehen.

Und so kommt es nicht zu einer Vereinigung zweier Staaten, sondern zu einer Annexion der DDR durch die BRD. Und das von vielen engagierten Menschen erträumte System einer Demokratie der Bürger wird nach wenigen Monaten durch ein kapitalistisch orientiertes Klientelparteien- und Lobbysystem ersetzt.

Allerdings fehlte vielen Politikern der DDR, meist solche, die nach der „Vereinigung“ aufstiegen, der Wille, einen politischen Neuanfang zu wagen mit neuer Verfassung und echten demokratischen Elementen.

Der Schriftsteller Christoph Hein erklärte in einem Interview bereits am 17. März 1990:
„Die Selbstständigkeit der DDR ist hier verludert und vertan worden – und nicht durch die Schuld Westdeutschlands. Dieses marode System hier hat keine Chance, aufrecht und mit Würde eine Vereinigung herbeizuführen. In der DDR ist von Selbstbehauptung gar nicht die Rede. Da geht es um die Übergabe an die BRD – auf Knien und mit der weißen Flagge.“

Kay Hanisch