Die EU-Wahl-Enttäuschung

Die Europawahl - eine Enttäuschung!

Wer glaubte, daß die Wahl zum Europaparlament im Zuge der Weltwirtschaftskrise eine demokratische Trendwende einläutet, der wurde enttäuscht. Die korrupten Regierungsparteien konnten ihre Macht sichern, von den meisten EU-kritischen Parteien, die in Parlament kamen, tendieren viele zum Rechtsextremismus.

Man wundert sich nur über das Verhalten vieler Wähler. Ist ihnen nicht bewußt, daß für die Wirtschaftskrise, europaweiten Soziallabbau und mangelndes Mitspracherecht für die Bürger die größtenteils neoliberalen Regierungsparteien in den EU-Staaten verantwortlich sind? Dieser herrschende europaweite Parteienfilz, der sich im EU-Parlament in Konservative („Europäische Volkspartei“ EVP), in die sogenannten Sozialdemokraten (SPE), Liberale (ALDE) und Grüne sortiert wurde nun auch noch bei der Wahl bestätigt. Die grünen Parteien legten sogar europaweit erstaunlich zu. Haben Europas Bürger Angst vor Klimawandel und Kriegsgefahr? Nur scheinen sie vergessen zu haben, daß die meisten grünen Parteien gar nicht mehr für die ökologische, soziale, pazifistische und radikaldemokratische Ausrichtung der 70iger Jahre stehen und schon gar nicht ihr französischer Großmeister Daniel Cohn-Bendit, sondern daß auch die Ökoparteien längst die Melodie des Neoliberalismus und des Ausbeutung spielen, verziert mit einer politisch-korrekt-ökologischen Note.
Auf einige der angetretenen Gruppierungen werfen wir einen Blick:

Viele demokratische EU-kritische Bewegungen und Gegner des autoritären Lissabon-Vertrages haben bei dieser Wahl schlecht abgeschnitten. Ob ihre Wähler zu Hause geblieben sind oder zu den Rechtsextremen gewandert sind, muß sich erst noch herausstellen.
Die dänische Juni-Bewegung, deren bekanntester Politiker der ehemalige EU- Abgeordnete Jens-Peter Bonde war, erhielt nur 2,3% der Stimmen und verlor somit ihr letztes Mandat. 1999 konnte sie noch drei Sitze erobern.
Der irische Multimillionär Declan Ganley, Finanzier der „Nein“-Kampagne zum EU-Vertrag in seinem Land, trat mit seiner „Anti-Lissabon-Partei“ Libertas gleich in mehreren Staaten an und scheiterte grandios. In Irland fuhr die Bewegung mit 5,62% der Stimmen noch das beste Ergebnis ein. Für einen Sitz im Parlament reichte es dennoch nicht. Auch in anderen Ländern blieb Libertas hinter den Erwartungen zurück. In Lettland kam sie auf 4,31%, in Frankreich auf 4,6% und in Polen auf 1,14%. In den Niederlanden, Malta, Großbritannien und Spanien waren es sogar nur unter 1%. In Deutschland unterstützte die Bewegung die Partei Arbeit Umwelt Familie – Christen für Deutschland (AUF), welche aber ebenfalls nur 0,1% bekam. Bedenkt man allerdings, daß Libertas aus dem Stand ohne vorhandene Strukturen antrat und welche Medienkampagne die Kartellparteien und ihre Meinungsmedien gegen Ganley und die Libertas entfachten, verwandelt sich die Niederlage der Bewegung in einen respektablen Achtungserfolg.
Die irische Linkspartei Sinn Feín, welche mit Libertas gegen den EU-Vertrag gekämpft hatte erhielt trotz ihrer 11,24% merkwürdiger Weise auch keinen Sitz im EU-Parlament.
Polens linkspopulistische Bauernpartei Samoobrona (zu deutsch: „Selbstverteidigung“) des Bauernführers und Volkstribuns Andrzej Lepper verlor ebenfalls ihre EU-Mandate und stürzte von über 11% auf 1,46% ab. Obwohl die sonst eher zum Rabaukentum neigenden Samobroona-Abgeordneten sich recht konstruktiv verhielten und mit den Sozialdemokraten kooperierten, wurde der unbequeme Lepper in seinem Heimtland Opfer eines medialen und politischen Kesseltreibens, wozu Vorwürfe über angebliche sexuelle Nötigung gehörten.

In Estland wurde die sozial-liberale Zentrumspartei mit 26,07% stärkste Kraft und schickt 2 Abgeordnete nach Straßburg. Die Zentrumspartei, die von ihren Gegnern als „linkspopulistisch“ bezeichnet wird, war die einzige große Partei Estlands, die sich für eine Volksabstimmung über den Lissabon-Vertrag ausgesprochen hatte und diesen auch kritisch beurteilte.

Als Kuriosum kann auch der Einzug der schwedischen Piratenpartei ins Parlament mit 7,1% und einem Abgeordneten gewertet werden. Die Partei setzt sich hauptsächlich für ein freies Internet und gegen Online-Überwachung ein. Ihr Manko sind fehlende Aussagen zu anderen relevanten politischen Themen. Die Partei hat angekündigt, sich jener Fraktion anzuschließen, welche die Forderungen der „Piraten“ umsetzen will. Der deutsche Ableger der Partei bekam nur 0,9% der Stimmen.

In Großbritannien ließ die eu-kritische Unabhängigkeitspartei des Vereinigten Königreiches (UKIP) mit 16,09% sogar die Labour-Party von Premierminister Gordon Brown hinter sich.
Die UKIP-Politiker, welche einen EU-Austritt anstreben, sehen sich selbst aber als „Atlantiker“, was nichts anderes heißt, das man die Befehle lieber aus Washington statt aus Brüssel empfängt. Die Partei belegte den erstaunlichen 2. Platz und erhält 13 Mandate. Die Grünen bekommen 2 Sitze, ebenso wie die rechtsnationalistische und bisweilen rassistisch auftretende Britische Nationalpartei (BNP).

Die Wahl führte zu einer erstaunlichen Renaissance des Linksliberalismus. In den Niederlanden gewannen die schon totgesagten Demokraten ´66 (D´66) mit 11,3% drei Mandate. In Slowenien bekam die in den 90iger Jahren fast schon als „Staatspartei“ agierende LDS (Liberaldemokraten Sloweniens) 11,52%, ihre Abspaltung ZARES 9,82%. Die LDS, welche mit dem beliebten Politiker Janez Drnovsek 1992-2000 den Premier und 2002-07 den Staatspräsidenten stellte, war nach dem Ende des Kalten Krieges aus dem Jugendverband der Kommunistische Partei hervorgegangen. Nach Drnovseks Tod schaffte sie bei den letzten nationalen Wahlen nur knapp über die 5%.

Positiv ist zu bewerten, daß sich in Malta mit 54,77% die sozialdemokratische Partei MLP durchsetzen konnte. Die Malta Labour Party ist traditionell eu-kritisch und sieht sich als Hüterin der Neutralität, während die regierenden Konservativen den Inselstaat gern in die NATO führen würden.

In Österreich gewann neben der rechtspopulistischen Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ)
auch der parteilose Abgeordnete Hans-Peter Martin mit seiner Wählerliste, die nun neben ihm noch zwei weitere Abgeordnete nach Straßburg schickt. Der frühere SPIEGEL-Journalist Hans-Peter Martin, in Österreich nur „HPM“ genannt, war 1999 Spitzenkandidat der Sozialdemokraten. Nachdem er Mißstände und Korruption in Brüssel aufdeckte und anprangerte, kam es zur Entzweiung mit der SPÖ. 2004 schaffte Martin bereits den Sprung ins Parlament aus eigner Kraft, mit 17,9% konnte er dieses Resultat nun verbessern. Sein – sehr lesenswertes Buch – „Die Europafalle“ kam nicht zufällig wenige Wochen vor der Wahl auf den Markt. Das von Jörg Haider gegründete Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ) als gemäßigte Variante des Rechtspopulismus kam nur auf 4,7% der Stimmen und scheiterte knapp. Allerdings könnte die Partei nach Inkrafttreten des EU-Vertrages ein Mandat zugesprochen bekommen, obwohl sie diesen Vertrag ja ablehnt. Konsequenter Weise will Spitzenkandidat Ewald Stadler sein Mandat dann nicht annehmen.

Ebenfalls ist der Wahlsieg der slowakischen sozialliberalen Partei Smer („Richtung“) zu begrüßen. Die Smer unter Premier Robert Fico erhielt 32,02% und damit 5 Sitze. Obwohl die Partei als ausgesprochen pro-europäisch gilt, hat sie nach ihrer Regierungsübernahme 2006 die große Privatisierungswelle in der Slowakei und die neoliberalen Exzesse gestoppt sowie eine Rückkehr zur staatlichen Rentenversicherung eingeleitet. Smer kann daher als einzige „sozialdemokratische“ Regierungspartei Europas bezeichnet werden. Ihre Koalitionspartner, die linksnationale Bewegung für eine demokratische Slowakei (HZDS) und die rechtsnationale Slowakische Nationalpartei (SNS) erhielten je ein Mandat.
Während der trinkfreudige SNS-Chef Jan Slota in der europäischen Öffentlichkeit als „schlimmer Demagoge“ gebrandmarkt wird und die Smer wegen der Koalition mit der SNS aus der Fraktion der europäischen Sozialdemokraten (SPE) flog, scheint man bei anderen Rechtsparteien ein Auge zuzudrücken – Hauptsache sie sind neoliberal. So stört sich Brüssel offensichtlich nicht an der Regierungsbeteiligung der rechtsdemagogisch-separatistischen Lega Nord und der ex-faschistischen Nationalen Allianz (AN) in der Koalition des italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi.

Es bleibt abzuwarten, wie sich die verschiedenen Gruppierungen, welche einer möglichen EU-Diktatur kritisch gegenüberstehen, verhalten werden. Aus Osteuropa werden Parteien wie die rechtsnationale Ataka aus Bulgarien, die rechtsextreme und mit den Pfeilkreuzlern kokettierende Jobbik und die revanchistische Großrumänienpartei (PRM) ins EU-Parlament kommen. Es wäre schon bizarr, wenn die verbliebenen Demokraten ausgerechnet mit den Stimmen dieser Gruppen die EU-Dikatur und den autoritären Lissabon-Vertag verhindern.



Kay Hanisch