Krisenregierung in Lettland

Rettet der "Marsmensch" Lettland aus der Krise?



Nach Island stürzte nun auch in Lettland die Regierung über die Folgen der weltweiten Wirtschaftskrise. In der neuen Regierung übernimmt der wirtschaftsliberale Populist und Ex-Premier Einars Repse das Amt des Finanzministers. Kann er Lettland aus der Krise führen?

Die lettische Regierung des konservativ-christdemokratischen Premierministers Ivars Godmanis wird nicht die letzte in Europa sein, die durch die Wirtschaftskrise stürzt. Die nächsten Kandidaten heißen Ungarn, Irland, Litauen und Estland. Im Pleite-Staat Ukraine wird die kampflustige Premierministerin Julija Timoschenko ihren Sessel nicht so leicht räumen, allerdings drohen auch in diesem Land harte innenpolitische Machtkämpfe.

Godmanis, der bereits 1990-93 Premierminister war, amtierte wieder seit 2007. Seine Regierung konnte keine passenden Antworten auf die Folgen der Finanzkrise finden.
Lettlands Wirtschaftsleistung weist mittlerweile ein Minus von 12% aus. Im Januar hatte es bereits Massendemonstrationen in Riga gegeben. Die Demonstranten warfen mit Steinen und Schneebällen Fensterscheiben im Parlamentsgebäude ein. Die vier konservativen Regierungsparteien blockierten sich in der Regierung gegenseitig und keine Partei wollte für unpopuläre Regierungsmaßnahmen in der Krise verantwortlich gemacht werden.

Nach dem Rücktritt von Godmanis, der bereits in der Unabhängigkeitsbewegung Lettlands aktiv war, berief der parteilose, skandalumwitterte Staatspräsident Valdis Zatlers, ein ehemaliger Arzt, der sich seine Dienste von seinen Patienten auch schon einmal mit „kleinen Geschenken“ vergüten ließ, den EU-Abgeordneten Valdis Dombrovskis zum neuen Premier.

Dombrovskis ist Mitglied der liberal-konservativen Oppositionspartei „Neue Zeit“ (JL), einer politischen Schöpfung des ehemaligen Zentralbankchefs Einars Repse. Dieser ist eine der schillerndsten Figuren in Politik des neuen Lettlands.

Bereits mit 29 Jahren wurde er 1991 Chef der Zentralbank und sorgte dafür daß die lettische Währung Lats stabil und die Inflation niedrig blieb. Das machte ihn bei der Bevölkerung zu einer der beliebtesten Personen des Landes. Repse, der eigentlich studierter Ingenieur war, erzählte immer wieder gern, daß er für seine Arbeit bei der Nationalbank nur auf ein Lehrbuch der Volkswirtschaftslehre, internationale Finanzzeitschriften und seine „Erfahrungen mit komplexen Strukturen“ zurückgegriffen habe.

Im Jahr 2001 kündigte Repse an, in die Politik zu wechseln und eine Partei zu gründen. Um unabhängig von einflußreichen Finanziers und Oligarchen zu sein, richtete er zwei Bankkonten ein, auf die das Volk jeweils ca. 750.000 Euro spenden sollte – einmal für die neue Partei und einmal für ihn persönlich. Zwar kam nur ein Drittel der geforderten Summe zusammen, aber Repse gab seinen Job bei der Bank dennoch auf und zog in den Wahlkampf.

Das Programm der Neuen Zeit entsprach eigentlich dem neoliberal-populistischen Mainstream der lettischen Regierungsparteien, allerdings punktete Repse, der wegen seines Aussehens und offensichtlich auch wegen seines manchmal abgehoben-weltfremden Gebarens vom Volk mit dem unschönen Spitznamen „Marsmensch“ belegt worden war, durch unkonventionelle Wahlkampfaktionen.

Als Hauptziele der Neuen Zeit konnte man die Bekämpfung der Kriminalität und der in der lettischen Politik weitverbreiteten Korruption nennen. Für diese Haltung genoß Repse, der ebenfalls in der Unabhängigkeitsbewegung aktiv war, die überwiegende Zustimmung der Letten. Weitere Ziele der Partei waren ein unabhängiges und wirksames Rechtssystem und die Verbesserung des Bildungs- und Gesundheitswesens.

Alles sollte künftig transparent sein für den Bürger. Kabinettssitzungen sollten nicht mehr hinter verschlossenen Türen stattfinden, sondern live im Fernsehen übertragen werden. Im Zuge seiner Transparenz-Wahlkampagne ließ Einars Repse seine Handynummer veröffentlichen. So war es für die Bürger möglich, den Kandidaten anzurufen, was zahlreiche Letten genutzt haben.
Und während die etablierten Parteien Distanz zum Volk wahrten und lediglich über das Fernsehen oder große Anzeigen präsent waren, zogen Repse und seine Mitstreiter los und klingelten an den Haustüren, um mit den Bürgern zu sprechen und Werbung für ihr Programm zu machen. Dies honorierten die Wähler und 2002 wurde die Neue Zeit mit knapp 24% der Stimmen stärkste politische Kraft im Parlament.

Einars Repse übernahm das Amt des Premierministers und führte eine Koalition aus Neuer Zeit (26 Sitze), der ökologisch-konservativen Union der Grünen und Bauern (12 Sitze), der christdemokratisch-konservativen Lettischen Ersten Partei (10 Sitze) von Ivars Godmanis und der rechtsnationalen Partei Für Vaterland und Freiheit (7 Sitze).

Die Regierung Repse, die bei der Bevölkerung Hoffnung auf eine Verbesserung ihrer Lebensumstände geweckt hatte, wurde eine der kurzlebigsten Lettlands.

Schon sehr bald überwarf sich Repse, dessen elitären und zum Teil autoritären Führungsstil die Bürger ja nun live im Fernsehen „bewundern“ konnten, mit seinen Koalitionspartnern. Immer häufiger versuchte er, der Koalition seine Vorstellungen aufzudrücken.
Am Abend des erfolgreichen Referendums zum EU-Beitritt (20.9.2003) wurde dann die Forderung nach seinem Rücktritt innerhalb der Koalition laut, da dieser Führungsstil keine weitere Zusammenarbeit zuließ.
Noch hielt sich die Regierung bis Anfang 2004, als bekannt wurde, daß der Anti-Korruptionspolitiker Einars Repse während seiner Amtszeit größere Liegenschaften gekauft hatte. Die Opposition witterte Vorteilsnahme durch den Premier und forderte eine Untersuchungskommission. Dem stimmte jedoch auch der stellvertretende Regierungschef Ainars Slesers zu, woraufhin er von Repse gefeuert wurde. Slesers Partei, die „Lettische Erste Partei“ zog sich aus der Koalition zurück, wodurch diese die Regierungsmehrheit verlor.
Nachdem sich die Regierung Repse bei mehreren Parlamentsabstimmungen nicht durchsetzen konnte, war der Rücktritt des Premiers unvermeidlich.

Einars Repse hat zwar Schwung in die lettische Politik gebracht, aber wirklich geändert hat sich für viele Bürger nichts. Der verhängnisvolle Kurs der engen Anbindung an die USA wurde auch unter seiner Regierung fortgesetzt, ebenso wie die neoliberale Wirtschaftspolitik.
Zwar versprach die Neue Zeit bessere Sozialleistungen, aber diese sollten durch das Ausmerzen der Steuerschlupflöcher finanziert werden – und da endete die ganze Sache auch schon wieder...
Auch den Irak-Krieg der USA unterstützte Repses Regierung, verweigerte sich aber wenigstens einem Abkommen mit den USA, das die Nichtauslieferung mutmaßlicher us-amerikanischer Kriegsverbrecher an den Internationalen Strafgerichtshof (ICC) festlegen sollte. In einigen Punkten nahm die Regierung sogar eine EU-kritische Haltung ein.

Und nun soll in der neuen Regierung unter Valdis Dombrovskis ausgerechnet Einars Repse das Finanzministerium führen. Staatspräsident Zatlers hat zwar gut daran getan, daß er nicht Repse, der nach wie vor Parteichef der Neuen Zeit ist, zum Regierungschef bestellte, da dieser absolut kein Teamplayer ist. Allerdings darf bezweifelt werden, ob eine neoliberale Roßkur das Richtige ist, um Lettland wieder auf die Beine zu helfen.
Premier Dombrovskis kündigte harte Einschnitte an und sein „Reformprogramm“ ist noch marktradikaler und unsozialer als das des gestürztes Ivars Godmanis. Die Letten sind also vom Regen in die Traufe gekommen. So sollen u.a. die Einkommen der Beschäftigen im Gesundheitsbereich um ca. 10% gekürzt werden.

Die neue Regierungskoalition umfaßt außer der Neuen Zeit die bisherigen Koalitionsparteien
Für Vaterland und Freiheit, Union der Grünen und der Bauern und der konservativen Volkspartei auch die neu hinzu gekommene Bürgerunion. Nur Godmanis´ Lettische Erste Partei wurde außen vorgelassen. Sie war offenbar durch den gestürzten Premier zu sehr belastet. Ebenfalls nicht mit in die Regierung aufgenommen wurden die beiden eher pro-russischen Parteien (Lettland besitzt eine russische Minderheit von 29,6%) Harmonie-Zentrum / SC und die Partei für Menschenrechte in einem geeinten Lettland / PCTVL.

Wenn Lettland die Auflagen des Internationalen Währungsfonds (IWF) nicht erfüllt, so der neue Premier, bleibe ihm nur noch die Möglichkeit, den Staatsbankrott zu verkünden. Einars Repse, der Wirtschaftswunderknabe, den viele Letten mit den Boomjahren in Verbindung bringen, soll es nun richten. Doch das Sparkonzept der Regierung bringt keine Innovation und keinen wirtschaftlichen Neubeginn. Es ist ein Akt purer Verzweiflung. Zwar windet sich auch die Regierung Dombrovskis hin und her und versucht dem IWF Zugeständnisse u.a. beim Haushaltsdefizit abzutrotzen, doch die lettische Bevölkerung würde unter der vom IWF diktierten Regierungspolitik nichts zu lachen haben.
Ein Akt wirtschaftlicher Befreiung und des Aufbruchs, wie z.B. mit einem Schuldenmoratorium wie in Ecuador oder Argentinien, wird von der neoliberalen Koalition nicht zu erwarten sein. Selbst in der Ukraine, die ebenfalls vor dem Staatsbankrott steht kämpft die Noch-Regierungschefin Julija Timoschenko mit kreativeren Mitteln gegen den wirtschaftlichen Niedergang. So werden im Importzölle auf Autos und Kühlschränke erhoben, Emissionsrechte an Japan verschachert, Kredite beim „Erzfeind“ Rußland erbeten und ein hochgradig defizitärer Haushalt durch das Parlament gepeitscht, um die Folgen der Wirtschaftskrise für die Bürger abzumildern. Ob sich der IWF dies lange gefallen läßt – schließlich hielt er schon die zweite Kreditrate des „Rettungskredites“ zurück – wird sich zeigen. Spätestens wenn gewalttätige Massenproteste von Osteuropa aus in die EU fluten, wird auch der IWF seine Einstellung überdenken müssen.

Kay Hanisch